24.05.2008 (jnl)
Einen tollen Wettkampf lieferten sich junge Schauspieler am Samstag (23. Mai) mit gestandenen Slam-Poeten. Das
Hessische Landestheater (HLTH) hatte ins Theater am Schwanhof (TASCH 1) zum Poetry Slam "Dead or Alive?" eingeladen.
Ein volles Haus bescherte die zweite Ausgabe des Wettstreits zwischen vier HLTH-Schauspielern und vier der bundesweit besten Slam-Poeten dem Landestheater. Zu rund 80 Prozent dominierten junge, studentische Gesichter den Saal. Sonst ist das Publikum hier meist älter.
Ein Poetry Slam ist ein Wettstreit zwischen Poeten mit den Mitteln der Vortragskunst. Witz, Klang, Rhythmus, Originalität und Publikumskontakt sind die Trümpfe. Die Regeln des Turniers sind klar: kein Gesang, keine technischen Hilfsmittel und in wenigen Minuten muss alles heraus!
Abweichend vom Üblichen durften die vier Schauspieler nichteigene Texte präsentieren und auch Requisiten benutzen. Die einzelnen Vorträge durften acht Minuten lang sein statt fünf.
Eine siebenköpfige Jury aus den Reihen des Publikums vergab bis zu 10 Punkte. Die in dieser Ausscheidung ermittelten Finalisten traten dann ein zweites Mal auf. Die Stärke des Publikums-Applauses dafür kürte schließlich den Sieger des Abends.
Der ironisch an die Kopfgeld-Plakate anknüpfende Titel "Dead or Alive?" stellte die Hamlet-Frage: Wer ist besser - die Klassiker oder die zeitgenössischen Poeten?
Der krönende Abschluss der Slam-Saison in Marburg vor einer dreimonatigen Sommerpause wurde moderiert von Lars Ruppel und Elena Lorscheid. Beide sind aus vielen Slams vor Ort bekannte Nachwuchs-Literaten. Ruppel zeigte sich in der Showmaster-Rolle als ein waschechter "Prince Charming".
Eine prima Lösung hatten sich die Organisatoren ausgedacht, um den Nachteil des Erststartenden zu neutralisieren und die Jury sich warmlaufen zu lassen. Der bewährte Kämpe Peter Janitzki machte das "Opferlamm" - wie sich Ruppel ausdrückte - und bot ein federleichtes, phantasievolles Horsd'oeuvre.
Als erster Wettbewerber wurde der Slammer Thorsten Rixer aus Tübingen ausgelost. Er bot eine wortartistisch aufgebaute Geschichte, die nach einigen Sätzen jeweils eine verblüffende Wendung zu neuem Schauplatz und Helden nahm. Für sein labyrinthisches Verwirrspiel "Beim Blick durch eine Bar" erzielte er 41 Punkte.
Auf ihn folgte der erste "tote" Dichter Daniil Charms. Verkörpert wurde er durch Nicolas Deutscher. Der Schauspieler machte aus dem melancholischen Russen die Farce eines Betrunkenen und erntete dafür 36 Punkte.
Ein Slammer namens Dalibor aus Frankfurt erwies sich als begnadeter Geschichtenerzähler. Mit lockerer Ironie holte er durch seinen "Selbst-Wut-Anschlag" auf den eigenen Migranten-Hintergrund 44 Wertungspunkte.
Bastian Michael vom HLTH erweckte Charles Bukowski zu gruseligem Leben mit einer von dessen Notgeil-Geschichten. Ein Grabscher im Supermarkt führt Selbstgespräche und wird eingeknastet. Die Juroren ließen ihn nach Punkten mit Dalibor gleichziehen, so dass beide in die Finalrunde kamen.
Frank Klötgen aus Berlin eröffnete nach der Pause die zweite Wertungsrunde. Für seinen selbstgedichteten "Der Täucher", der Schillers Ballade "Der Taucher" genial in zeitgenössischer Sprachgewalt weitertrieb, erhielt er die absolute Höchstpunktzahl 50.
Dagegen hatte es die Schauspielerin Ulrike Knobloch als Darstellerin von Mascha Kaléko schwer. Verkleidet als Reinemachfrau, trug sie ein Gedicht auf die einfachen Alltagsfreuden beim Blick in die Natur vor. Das riss niemanden im Publikum vom Hocker, zumal es der großen deutschen Dichterin der Großstadt nicht gerecht wurde. Aber Schauspieler haben halt auch nicht immer Zeit und Lust, sich was "Knorkes" auszudenken. Für die kleine Rollenstudie gab es 38 Punkte.
Die legendäre Slammerin Liv Andresen aus Kiel kam mit eigenen Poemen. "Eure langweiligen Herzen kotzen mich an", hob sie an, "wie gut dass Fettaugen nicht weinen". Es machte großen Spaß, ihren ebenso ironischen wie zeitkritischen Wut-Kaskaden zu lauschen. In Anspielung an das bekannteste Wort der Französischen Revolution dichtete sie etwa: "Das Volk hat keine Gefühle. Dann soll es doch Dinge kaufen. - Gelobt sei, was vergessen macht, Amen."
Den Juroren gefiel das nur mittelprächtig und endete mit 42 Punkten.
Last not least kam Friedrich Schiller in Gestalt von Sascha Oliver Bauer, schmiss den dicken Textpacken von "Die Glocke" demonstrativ fort und bot ein Kabinettstück als frei philosophierender Friedrich. Dieser Schauspieler war der Einzige, der die Herausforderung adäquat annahm und aus dem literarischen Text heraus Vortragskunst entwickelte. Verdientermaßen erhielt er daher ausgezeichnete 46 Wertungspunkte.
Die vier Höchstplatzierten durften im Finale ihr Können ein zweites Mal beweisen. Dabei setzte sich nach der Applaus-Wertung eindeutig Frank Klötgen als strahlender Sieger des Abends durch. Aber auch die anderen Drei durften im Beifall baden.
Nach einer mit viel Humor und symbolischen Preisen zelebrierten Preisverleihung gingen alle vergnügt nach Hause. In spätestens zwei Jahren gibt es hoffentlich ein neues Kräftemessen.
Jürgen Neitzel
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