24.05.2008 (sts)
Das Dasein als Arbeitsloser ist nicht einfach: Man muss kreativ sein, um sich sinnvoll zu beschäftigen. Und man muss sich anpassen und optimieren, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Ansonsten drohen Resignation, Isolation und Depression.
Als arbeitsloser Schauspieler ist die Situation nicht weniger heikel. Den Zwang, undankbare Rollen annehmen zu müssen, die Abhängigkeit von selbstherrlichen Regisseuren und die außerordentlich geringe Bezahlung thematisierte das
Theater GegenStand am Freitag (23. Mai) in der ausverkauften
Waggonhalle.
Der Weg aus der Arbeitslosigkeit steckte für die sieben Schauspieler in der Buchstaben-Kombination "DSSDW". Das ist abgekürzt einfach, "Die Schlechteste Show Der Welt“ auf die Beine zu stellen. Schließlich hat dieses Konzept Konjunktur. Der Fingerzeig auf die allseits bekannte Buchstaben-Kombination "DSDS" für "Deutschland Sucht Den Superstar" gibt das Anspruchsniveau vor. Das will erst einmal unterboten werden!
Warum also nicht mal Vergewaltigung spielen, das Publikum schockieren? Oder einen Striptease hinlegen? Nackte Haut kommt schließlich immer gut an. Oder ein modern inszeniertes Weihnachtsmärchen mit Aschenputtels legendärem Schuh, der so enorm stinkt, dass selbst der Nikolaus in Ohnmacht fällt? Dem Niveau-Limbo sind doch keine Grenzen gesetzt!
"Und wo bleibt da die Kunst“, fragte der schon leicht depressiv wirkende Uwe Lange. Darauf rezitierte Frank Winterstein den Geist des Vaters aus Hamlet: "Ich bin der Geist deines Vaters, verurtheilt, eine bestimmte Zeit bey Nacht herum zu irren, und den Tag über eng eingeschlossen in Flammen zu schmachten, bis die Sünden meines irdischen Lebens durchs Feuer ausgebrannt und weggefeget sind.“
"Hör auf, das Publikum schaut schon wieder zu Hubert“, stoppte Schauspiel-Kollegin Annette Förg das Deklamieren. Hubert Klinger, in ein Ballett-Tutu gezwängt, hat bei "DSSDW" nur die Aufgabe, sich auf einer kleinen Bühne am Rande fortwährend im Kreis zu drehen. "Damit die Zuschauer irgendwo hingucken können, wenn ihnen langweilig ist", heißt es dazu im Show-Konzept.
"Kunst will doch keiner mehr sehen. Oder können Sie beim Zuschauen auch Nachdenken oder beim Nachdenken noch Zuschauen?“, stellte Winterstein schließlich eine der zentralen Fragen des Stücks.
"DSSDW" kam zunächst etwas zu aufgeregt und etwas zu zusammenhanglos daher. Ob gewollt oder nicht, der Blick schweifte häufiger mal zu Hubert.
Doch die Versatzstücke aus Gesellschaftskritik, Satire und Show von den Hartz-IV-Reformen bis zum Medienkonsum, von der richtigen Kontaktanzeige bis zum Lach-Yoga fügten sich nach und nach zusammen. Schließlich sind sie alle Bestandteile des alltäglichen Erlebens, Elementarteilchen der Gesellschaft, in der alle leben und die alle mitgestalten.
Ein einheitlich-komplettes Bild entstand nicht. Vielmehr lieferte das Stück ein Mosaik, dessen fehlende Teile vom Zuschauer beizusteuern sind.
Auch das Dasein des womöglich schon ideen- und interessenlosen - jedenfalls völlig lebensentwurf- und damit auch konzeptlosen - Arbeitslosen muss nicht unweigerlich in den Verlust aller Perspektiven münden. Manchmal müssen eben nur die ausgefransten Enden der eigenen Lebenslinie miteinander verknotet werden und schon sieht alles ganz anders aus.
Inszeniere deine Schwächen, statt dich ins Gesellschaftskorsett der Starken und Erfolgreichen zu schnüren: "DSSDW" ist Konzeptlosigkeit als Konzept.
Insofern haben Regisseur Peter Gerst und sein Ensemble die eigenen Ansprüche weit verfehlt. Denn es gibt deutlich schlechtere Shows auf der Welt als "DSSDW".
Stephan Sonntag
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