29.11.2011 (fjh)
"Großer Herrscher, starker König, lieber Heiland!" Diese Huldigung erklang am Montag (28. November) beim Weihnachtsoratorium in der katholischen Kirche St. Peter und Paul. Unter der Leitung von Prof. Siegfried Heinrich führten das tschechische Orchester "Virtuosi Brunensis" und der
Marburger Konzertchor gemeinsam mit vier Vokalsolisten das beliebte Meisterwerk von Johann Sebastian Bach auf.
Erstmals öffentlich erklungen ist Bachs berühmtestes Oratorium zwischen Weihnachten 1734 und dem Epiphaniasfest 1735. Im 20. Jahrhundert hat sich dieses strahlende Juwel musikalischer Festtagsfreude geradezu zum Standardwerk klassischer Advents- und Weihnachtskonzerte entwickelt.
Unter Heinrichs Leitung wirkte die barocke Komposition am Montagabend trotz ihres fortgeschrittenen Alters immer noch schwungvoll und modern. Auch die leiseren und langsameren Stellen arbeitete der Dirigent einfühlsam heraus.
Im Gegensatz zu seinen Aufführungen in vorangegangenen Jahren brachte er 2011 allerdings nur die ersten beiden Kantaten des Weihnachtsoratoriums "Jauchzet, frohlocket!" sowie "Und es waren Hirten in dieser Gegend" zu Gehör. Hinzu kam eine weitere Bach-Kantate mit dem Titel "Unser Mund sei voll Lachens". Im Bach-Werkeverzeichnis (BWV) trägt sie die Nummer 110.
Diese Bach-Kantate 110 erinnert an seine berühmte Orchestersuite Nummer 4, die er schon
früher komponiert hatte und dann - wie in der Barockzeit üblich - im "Parodieverfahren" zur Basis
für ein eigenständiges Werk gemacht hat. Sie passte absolut zum restlichen Programm des Konzerts, das sich als harmonische Einheit präsentierte.
Stille herrschte im voll besetzten Kirchenraum, während die Musiker ihre Kunst ausübten. Nicht nur an den starken Stellen mit Trompeten und lautem Chorgesang, sondern auch bei verhalteneren Passagen zog die gelungene Darbietung die verzückten Zuhörer voll in den Bann.
Leider drang die wunderschöne Stimme der Sopranistin Johanna Knauth kaum durch. Im Gegensatz dazu überzeugten Uta Runne (Alt) und der Tenor Sebastian Kohlhepp durch ebenso einfühlsamen wie kraftvollen Gesang. Auch dem Bass Christos Pelekanos merkte man nicht an, dass er erst wenige Tage vor der Aufführung als Ersatz eingesprungen war.
Besonders eindrucksvoll indes war der wunderschöne Gesang des Chors. Geradezu himmlisch wirkte die Musik, wenn die Sängerinnen und Sänger als frohlockende Engel jubilierten und dabei hörbar in höheren Sphären schwebten.
Auch das Orchester bewies großes Einfühlungsvermögen und die - schon in seinem Namen verheißene - Virtuosität. Im Zusammenklang aller Beteiligten entstand eine musikalische Kristallisation von jubelnder Freude und spiritueller Besinnlichkeit.
"Wachet auf!" Mit Pauken und Trompeten erklang dieser Weckruf kurz vor Ende des Konzerts. Doch eingeschlafen sein dürfte bei dieser wunderbaren Musik wohl kaum jemand.
Dem 76-jährigen Dirigenten merkte man sein Alter jedenfalls nicht an. Den Chor und das Orchester wie auch die Solisten führte Heinrich zu echten Höchstleistungen.
Nach gut eineinhalb Stunden endete die Aufführung noch einmal mit einem großen Kraftakt des Chors. In einer seligen Stimmung ließ er die Zuhörenden im großen Kirchenraum zurück.
inutenlanger Applaus war dann die verdiente Belohnung für alle Mitwirkenden. Ihn wiederum belohnten die Musiker, indem sie nun die Ouvertüre zu Bachs Orchestersuite anstimmten. Beim zweiten Durchlauf boten sie diese - nur leicht variierte - Schwester der weihnachtlichen Kantate noch inbrünstiger und kraftvoller als während des eigentlichen Konzerts.
"Der Herr hat Großes an uns getan", lautet der Text. Man könnte ihn auch auf den greisen Dirigenten übertragen, der - zusammen mit Chor, Orchester und Solisten - dem Publikum einen wunderschönen Abend geschenkt hat. Grund genug wäre das für die Umsetzung der lautstarken Aufforderung gleich zu Beginn des Weihnachtsoratoriums: "Jauchzet, frohlocket!"
Franz-Josef Hanke
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