11.11.2011 (fjh)
Als "fatalen Fehler im Kraftwerk" beschreibt der Marburger Zellforscher Prof. Dr. Roland Lill die Ursache für eine tödliche Krankheit im Kindesalter. Ein internationales Forscherteam hat die biochemische Ursache der tödlichen Kinderkrankheit aufgeklärt, die auf einer Fehlfunktion der sogenannten "Mitochondrien" beruht.
Sie sind die Energielieferanten der Zelle. Wie Lill und seine Kollegen herausgefunden haben, beeinträchtigt eine Genmutation unter anderem die Herstellung eines Enzyms, das für den Liponsäure-Stoffwechsel benötigt wird.
Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler in der Zeitschrift "American Journal of Human Genetics“ veröffentlicht. Dort sind sie am Freitag (11. November) erschienen.
Mitochondrien werden häufig als "Kraftwerke der Zelle" bezeichnet, weil sie Energie in Form des Moleküls "ATP" verfügbar machen. "Weniger bekannt - aber genauso bedeutend - ist, wie einige der Kofaktoren von mitochondrialen Proteinen synthetisiert werden“, erklärte Senior-Autor Lill von der
Philipps-Universität.
So benötigen mehrere mitochondriale Enzyme Liponsäure als Kofaktor, um richtig zu funktionieren. Liponsäure ist auch kommerziell als Nahrungs-Ergänzungsmittel erhältlich.
Im Fokus der aktuellen Untersuchung steht eine seltene Erkrankung, die unter anderem mit einer gestörten Liponsäure-Synthese einhergeht. "Die betroffenen Patienten hatten bei Geburt noch keine Krankheitssymptome“, berichtet Lill. "Die Babys entwickelten jedoch nach zirka drei Monaten schwere Entwicklungsstörungen und Hirnschädigungen, die schließlich nach etwa einem Jahr zum Tode führten.“
Lills spanische und israelische Kooperationspartner fanden die genetische Ursache der Erkrankung heraus. Sie identifizierten eine Mutation in einem Gen, das für die Biosynthese eines weiteren Protein-Kofaktors erforderlich ist. Bei ihm handelt es sich um das sogenannte "Eisen-Schwefel-Cluster".
Die genaue Funktion des - von der Mutation betroffenen - Genprodukts blieb jedoch bislang unklar. "Meine Marburger Arbeitsgruppe vermutete nun, dass das Protein für die gezielte Herstellung eines Eisen-Schwefel-Proteins von Bedeutung ist, das wiederum die Synthese der Liponsäure katalysiert“, berichtete Lill.
Um diese Hypothese zu untermauern, nutzten die Wissenschaftler ein von Dr. Oliver Stehling etabliertes Zellkultursystem, in dem sie die Erzeugung des Proteins gezielt unterbanden und dann beobachteten, welche Effekte das hat. Die Forscher fanden erwartungsgemäß eine drastische Verringerung der Liponsäure-Menge.
Wie das neu charakterisierte Protein funktioniert, erschließt sich aus weiterführenden Untersuchungen, die Lills Doktorandin Marta Uzarska am Modellorganismus Bäckerhefe durchführte: Offenbar wirkt es als Überträger des neu synthetisierten Eisen-Schwefel-Clusters auf Eisen-Schwefel-Zielproteine.
"Obwohl die mitochondriale Krankheit nunmehr biochemisch gut verstanden ist, können aus den bisherigen Untersuchungen keine unmittelbaren Therapievorschläge abgeleitet werden“, gab Lill zu Bedenken. "Denn zellbiologischen Untersuchungen zufolge wird die - den Zellen exogen angebotene - Liponsäure offensichtlich nicht an ihren Wirkort in den Zellen transportiert. Dies wirft auch ein kritisches Licht auf die möglichen biologischen Effekte der Nahrungsergänzung durch kommerziell erhältliche Liponsäure.“
Die Arbeitsgruppe von Lill ist Teil des Forschungsschwerpunkts "Molekulare und Systemische Biowissenschaften" an der Philipps-Universität. Lill ist Sprecher des Sonderforschungsbereichs 593 der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der die "Mechanismen der zellulären Kompartimentierung und deren krankheitsrelevante Veränderungen“ untersucht.
Einem Ranking der Zeitschrift "Laborjournal“ zufolge zählt der Hochschullehrer zu den dreißig am häufigsten zitierten deutschen Zellbiologen. Schon im Jahr 2003 hat er den Leibniz-Preis erhalten. Das ist der am höchsten dotierte deutsche Wissenschaftspreis.
pm: Philipps-Universität Marburg
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