04.11.2011 (sus)
Über ihr "Studium in studenten- und frauenbewegter Zeit“ berichtete die Gewerkschafterin Dr. Franziska Wiethold am Donnerstag (3. November) im Kanada-Saal der Universitätsbibliothek. Eingeladen hatte die Frauenbeauftragte Dr. Silke Lorch-Göllner sie im Rahmen der Ausstellung "Die halbe Uni den Frauen“.
Jeder Gast wurde zunächst jedoch von der interessanten Foto-Ausstellung in den Bann gezogen. Die Bilder hingen zwar schlicht an Stellwänden, dennoch wirkten sie eindrucksvoll auf den Betrachter. Jedes von ihnen erzählt seine eigene Geschichte von der Gleichberechtigung der Frauen.
Viele Frauen hatten sich eingefunden. Aber auch einige Männer waren unter den Gästen. Alle wollten erfahren, wie es war, in den 60er und 70er Jahren als Frau zu studieren.
Universitätspräsidentin Prof.Dr. Katharina Krause eröffnete den Vortrag mit einem Grußwort. Dabei bezog sie sich auf zwei Aufnahmen der Foto-Ausstellung.
Das erste Foto zeigt die Immatrikulationsfeier für das Sommersemester 1968 an der Philipps-Universität. In der ersten Reihe sitzen Frauen "im kleinen Schwarzen“.
Auf dem zweiten Foto ist die Einweihung des Universitätsklinikums abgebildet. In der ersten Reihe sitzt Dr. Vera Rüdiger. Sie ist die einzige Frau auf diesem Foto.
Krause erklärte, dass solche Fotos heutzutage nicht mehr aufgenommen werden.
"Ich freue mich, dass diese Ausstellung hier ausgestellt wird“, erklärte Bibliotheksdirektor Dr. Hubertus Neuhausen in seinem Grußwort. Für ihn ist es normal, dass Frauen in der heutigen Zeit Machtpositionen in Deutschlang einnehmen. Dabei bezog er sich auf die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
Nach den einführenden Worten, die sich mehr auf die Foto-Ausstellung bezogen, leitete Lorch-Göllner den Vortrag von Wiethold ein. Frauen durften erst seit 1908 an Universitäten studieren. Damals gab es nur wenige weibliche Vorbilder.
Der Großteil der männlichen Professoren und Studenten reagierte ablehnend auf die weiblichen Studenten. In den Augen der Männer studierten Frauen nur, um später eine akademische Ehe einzugehen.
Doch mit der Bildung von Frauengruppen zu Beginn der 70er Jahre ließ die Diskriminierung nach. Gleichzeitig nahm die Gleichberechtigung zu.
An diesem Punkt setzte Wiethold mit ihrem Vortrag ein. Sie erzählte dem Publikum mit viel Begeisterung, wie sie die 68er-Bewegung als junge Studentin miterlebt hat.
Die Rolle als Hausfrau und Mutter war bei den Frauen nicht mehr ein erstrebenswertes Leben. Sie wollten eigenständig und berufstätig sein.
Wiethold selbst brach viele Regeln und setzte sich gegen Unterdrückung ein. Als sie mit einem nackten Mann in ihrem Zimmer im Studentenwohnheim erwischt wurde, führte das zu einem Rauswurf.
Doch Wiethold hatte nur ein Ziel: "Ich wollte mich durchsetzen, indem ich so gut wie die Männer werde!“
Obwohl Wiethold und ihre Kommilitoninnen sich nach Gleichberechtigung sehnten, sprachen sie kaum über die Diskriminierung an der Universität. Auch den "Frankfurter Weiberrat" von 1968 empfand Wiethold als fremd und abstoßend.
Die Gewerkschafterin erklärte, dass neben ihr auch viele andere Frauen Angst hatten, dem Emanzipationsanspruch nicht gerecht zu werden. Die Frauen wurden noch immer von ihrer klassischen Erziehung geleitet. Jedoch konnten sie sich das nicht eingestehen.
Diese Frauen fühlten sich - wie Wiethold auch - zu den Gewerkschaften hingezogen. Die Gewerkschaften setzten sich für die Menschen ein. Außerdem waren die Frauen dort nicht so kämpferisch wie in den Studentengruppen.
Aber auch bei den Gewerkschaften mussten die Frauen sich gegen aggressive und zugleich unsichere Männer durchsetzen. Doch die vielen Diskussionen und Konflikte haben Früchte getragen.
Die Gewerkschaften haben sich verändert. Dort sind nun auch Frauen in Machtpositionen zu finden.
Wiethold sah auf 40 Jahre zurück und stellte dabei fest, dass es viele Veränderungen gab. Jedoch sei die Frauenbewegung an einer schwierigen Stelle angekommen.
"Alle Zahlen zeigen, dass Männer und Frauen im Erwerbsbereich gleich sind, bis das erste Kind kommt", erläuterte Wiethold. Um dieses Problem zu lösen, müsste die Mutterrolle neu diskutiert werden.
Die Frauen der heutigen Zeit haben sehr hohe Ansprüche. Sie wollen einen gleichberechtigten Beruf, eine feste Partnerschaft und Kinder. Doch es gibt keine stabile Grundlage, um alle Wünsche der Frauen zu realisieren.
"Junge Frauen wissen nicht, was auf sie zukommt“, sagte Wiethold. Die Frauen sollten nicht dem Leitbild "Frau kann alles“ folgen, riet sie.
Am Ende ihres Vortrags kam Wiethold auf die Frauenquote in den DAX-Vorständen zu sprechen. Ihrer Meinung nach ist die Frauenquote wichtig. Aber man müsse beachten, dass Frauen nicht immer die besseren Menschen sind.
Man könne nicht behaupten, dass Frauen eine andere Politik machen als Männer. Ihren Vortrag schloß Wiethold deshalb mit dem Wunsch, dass die neue Frauenbewegung zusammen mit vielen Männern die jetzigen Probleme angehen und überwinden wird.
Rund 30 Menschen haben den interessanten und zugleich auch humorvollen Worten Wietholds gelauscht. Ihre Ausführungen waren sehr lebendig.
Außerdem beeindruckte Wiethold mit rhetorischem Können. Sie sprach völlig frei und konnte so die Gäste in ihren Bann ziehen. Obwohl die Männer durch den "Weltmännertag“ im Mittelpunkt standen, schaffte es Wiethold, die Frauen für zumindest für zwei Stunden in den Fokus zu rücken.
Susanna Strauß
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