01.11.2011 (fjh)
"Lügen und Täuschungsmanöver ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Bundeswehr." Diese Aussage untermauerte Prof. Dr. Martin Kutscha am Montag (31. Oktober) in seinem Vortrag "Die Bundeswehr - Von der Verteidigungsarmee zur globalen Interventionstruppe". Im vollbesetzten Hörsaal 116 des Auditoriumsgebäudes der
Philipps-Universität sprach der Berliner Staatsrechtler im Rahmen der Ringvorlesung "Konflikte in Gegenwart und Zukunft" über die Entstehungsgeschichte und die Entwicklung der deutschen Bundeswehr.
Im Grundgesetz war eine deutsche Armee noch nicht vorgesehen, erklärte Kutscha den überwiegend jungen Zuhörern. 1949 habe man sich das angesichts der Greuel des Zweiten Weltkriegs überhaupt nicht vorstellen können.
So enthielt das Grundgesetz in seiner Ursprungsfassung lediglich das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Zudem verbot es die Vorbereitung eines Angriffskriegs.
Noch Anfang der 50er Jahre haben der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer wie auch sein späterer Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß jeden Gedanken an eine deutsche Armee weit von sich gewiesen. Dennoch gründeten genau sie 1956 die Bundeswehr.
Allerdings rückte man die sogenannte "Wiederbewaffnung" seinerzeit in den Kontext der Beteiligung Westdeutschlands an den Lasten eines militärischen Schutzsystems im Rahmen des "Kalten Kriegs". Die Bundeswehr habe Symbolcharakter gehabt, um dem östlichen machtbereich die Verteidigungsbereitschaft Westdeutschlands zu zeigen.
Folgerichtig verbot der seinerzeit nachträglich ins Grundgesetz eingefügte Artikel 86a auch jeden anderen Einsatz der Bundeswehr als allein zur Landesverteidigung und zum Schutz des Territoriums der Bundesrepublik. Dem Volk, das die Wiederbewaffnung damals mehrheitlich abgelehnt habe, sei sie als reine Verteidigungsarmee angepriesen worden.
Sowohl das Grundgesetz als auch das Internationale Völkerrecht ächten den Krieg. Erlaubt ist nach der Charta der Vereinten Nationen (UN) lediglich die Selbstverteidigung und eine militärische Aktion mit UN-Mandat im Falle einer gefährlichen Störung des Weltfriedens.
Auf die Frage nach den Kosten der Bundeswehr und den Interessen, die zu ihrer Gründung geführt haben, verwies Kutscha einerseits auf die deutsche Rüstungsindustrie und zum Anderen auf ehemalige Wehrmachtsoffiziere, die ihre Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg einbringen wollten.
Schritt für Schritt habe die Bundeswehr sich dann allmählich von einer Verteidigungsarmee zu einer Interventionstruppe entwickelt, erklärte Kutscha. Nur wenige Monate vor dem Fall der Mauer habe eine Konferenz vn Juristen im August 1989 das überkommene Konstrukt des "Jus ad Bellum" erneut ins Spiel gebracht.
Anfang der 90er Jahre habe es dann kleinere Einsätze von deutschen Soldaten bei militärischen Konflikten außerhalb Westeuropas gegeben. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 gestattet solche Einsätze, wenn sie im Rahmen "kollektiver Systeme zur gegenseitigen Sicherheit" erfolgen.
Gemeint gewesen sei damit zwar die UNO, doch angewandt werde diese Bezeichnung von vielen Juristen heute auch auf die Nordatlantische Vertragsorganisation (NATO), erklärte Kutscha. Auch die Ausweitung ihres Einsatzgebiets durch Änderung strategischer Dokumente billigten die Karlsruher Richter als Grundlage für militärische Einsätze der Bundeswehr außerhalb Westeuropas.
Mit dem Kosovo-Krieg seien dann endgültig alle Hemmungen gefallen. Seit 2001 werde Deutschland angeblich "am Hindukusch verteidigt".
Unter Angabe zahlreicher Artikel des Grundgesetzes und entsprechender Bestimmungen des Völkerrechts zeigte Kutscha auf, wie problematisch diese Aussage juristisch zu bewerten sei. Mehrmals habe das Bundesverwaltungsgericht Einsätze der Bundeswehr deswegen als Verfassungs- oder völkerrechtswidrig eingestuft.
Das Bundesverfassungsgericht hingegen lasse der Regierung in außenpolitischen Entscheidungen weitgehend freie Hand. Lediglich der Parlamentsvorbehalt bei Einsätzen der Bundeswehr wie auch zuletzt bei der Übernahme staatlicher Garantien für den sogenannten "Euro-Rettungsschirm" schränke ihre Handlungsfreiheit etwas ein. Doch sei jedem klar, dass der Deutsche Bundestag in aller Regel mit der Regierung stimmen werde.
Bei der Bevölkerung bestehe nach wie vor große Einigkeit in der Ablehnung von Kampfeinsätzen der Bundeswehr. Aus diesem Grund habe die Politik auch erst sehr spät von einem "Krieg" in Afghanistan gesprochen.
Auch sei die Begründung militärischer Aktionen zur Sicherung deutscher Wirtschaftsinteressen meist nur hinter vorgehaltener Hand zu hören gewesen. Erst Bundespräsident Horst Köhler und Verteidigungsminister Carl-Theodor Freiherr zu Guttenberg hätten hier Klartext gesprochen. Beide seien aber - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - inzwischen aus ihren Ämtern zurückgetreten.
In den Leitlinien der Bundeswehr finde sich die Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen als Begründung von Bundeswehreinsätzen in Form einer Formulierung, die den "Schutz feier Handelswege" als Grund für militärische Aktionen angebe. Tatsächlich seien auch die Kriege im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan mit der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen eng verknüpft.
Die BEgründung als angeblich "humanitäre Intervention" stellte Kutscha in Frage. Zwar befürwortete er die Pflicht der Staaten, für den Schutz der Menschenrechte weltweit einzutreten, doch sprach er sich bei dessen Durchsetzung für wirtschaftliche Sanktionen oder auch nur "Staatenberichte" von UN-Organisationen aus.
Für Kutscha wurde die Begründung einer angeblichen Hilfe für Opfer rücksichtsloser Machthaber dadurch unglaubwürdig, dass die Propagandisten solcher Erklärungen selbst vorher enge Beziehungen mit solchen Diktatoren und Autokraten gepflegt haben. Das UN-Mandat für die Einrichtung und Durchsetzung einer Flugverbotszone in Libyen gebe eine gewaltsame Absetzung des dortigen Machthabers keineswegs her. Hier sei ebenfalls nicht ehrlich argumentiert und gehandelt worden.
Letztlich forderte Kutscha die strikte Einhaltung des Völkerrechts und die konsequente Ächtung des Kriegs ein. Dabei schloss er sich der - sachlich begründeten - Forderung aus einem Länderbericht der UNESCO zum Thema "Studiengebühren" an, der Deutschland zu einer besseren Ausbildung von Juristen auf dem Gebiet des Internationalen Völkerrechts aufgefordert hatte.
Franz-Josef Hanke
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