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Zwei Zentren, zigtausend Opfer


Für aktivere Rolle der Betroffenen

28.10.2011 (fjh)
Die Aufarbeitung von internationalen Verbrechen wie Völkermord soll den Opfern eine aktive Rolle zuweisen. Zu diesem Fazit sind die Teilnehmer einer gemeinsamen Tagung gelangt, die das Zentrum für Konfliktforschung (ZfK) und das Internationale Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) der Philipps-Universität in Marburg veranstaltet haben.
Auf der Tagung sprachen internationale Expertinnen und Experten aus dem Bereich des Internationalen Strafrechts und der Politikwissenschaft. Unter ihnen waren der stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag Richter Hans-Peter Kaul und der ehemalige UN-Sonderberichterstatter über Folter Prof. Theo van Boven sowie der Vertreter der Nebenklage im Demjanjuk-Verfahren Prof. Cornelius Nestler.
Einig war man sich, dass es wichtig ist, Opfern eine aktive Rolle bei der Aufarbeitung von internationalen Verbrechen wie Genoziden oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu geben. Gerade im Vergleich zu den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg spielen Opfer heutzutage eine wichtigere Rolle in internationalen Strafprozessen.
Zugleich wurden aber auch die Probleme diskutiert, die mit einer Ausweitung von Opferrechten in Strafverfahren verbunden sind. Beispielsweise muss das Gericht die Notwendigkeit beachten, dem Angeklagten einen fairen Prozess zu gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund betonten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass es neben dem Strafrecht auch andere wichtige Ansätze gebe, internationale Verbrechen aufzuarbeiten. Das können etwa Wahrheitskommissionen und materielle oder symbolische Wiedergutmachungen sein. Die Arbeit von Opferorganisationen vor allem auch im Umgang mit traumatisierten Opfern spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle.
Die Vortragenden stimmten darin überein, dass eine große Herausforderung für die Beteiligung von Opfern darin besteht, zu definieren, wer als Opfer von Verbrechen gelten kann und wem die Anerkennung des Opfer-Status verweigert wird. Prof. Mark Drumbl von der Washington & Lee University stellte dabei vor allem die schwierige Rolle von Kindersoldaten in den Mittelpunkt, die sowohl als Opfer als auch als Täter betrachtet werden können. Auch die selektive Thematisierung von Verbrechen wie zum Beispiel in Fällen sexueller Gewalt während des Zweiten Weltkriegs wurde diskutiert. So hob Dr. Regina Mühlhäuser vom Hamburger Institut für Sozialforschung hervor, dass in der deutschen Berichterstattung über sexuelle Gewalt im Zweiten Weltkrieg vor allem die Opfer von Verbrechen dominierten, die von der Roten Armee verübt wurden.
Zugleich wurde deutlich, dass die Existenz des Internationalen Strafgerichtshofs ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Straflosigkeit ist, weil damit eine Institution geschaffen wurde, um Hauptverantwortliche für internationale Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, und den Opfern eine Möglichkeit der Anerkennung und der Wiederherstellung von Gerechtigkeit zu geben. In der Abschlussdiskussion wies Prof. Raquel Aldana von der University of the Pacific in Kalifornien darauf hin, dass Opfer bei der Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen wieder zu aktiven Staatsbürgerinnen und -bürgern gemacht werden müssen, anstatt sie nur zu passiven Empfängern von Entschädigungen zu machen.
Die Tagung wurde von Prof. Dr. Christoph Safferling vom ICWC und Prof. Dr. Thorsten Bonacker vom ZfK geleitet. Gefördert haben sie die Stiftung "Erinnerung – Verantwortung – Zukunft" sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Weltweit zum ersten Mal kamen Forscherinnen und Forscher mit Expertinnen und Experten aus der Praxis der strafrechtlichen und gesellschaftlichen Aufarbeitung von Massengewalt zusammen. Die Teilnehmenden werteten die Tagung als großen Erfolg.
Hervorgehoben wurde vor allem die Möglichkeit, sich aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven über die Chancen und Probleme der Beteiligung von Opfern an Aufarbeitungsprozessen zu beteiligen. Die Beiträge werden in einem Sammelband zur Tagung erscheinen.
pm: Philipps-Universität Marburg
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