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Kaisers neue Kleider


Wie sich eine Multimedia-Performance als Irrweg erwies

09.10.2011 (jnl)
Die experimentelle Multimedia-Performance "Exit Lear" war keine Sternstunde des >Hessischen Landestheaters Marburg. Die Premiere am Samstag (8. Juli) auf der Studiobühne "Black Box" brachte die Erkenntnis, dass vom Nachwuchs keineswegs die zündenderen Theater-Projekte zu erwarten sind.
Zurecht firmierte diese Aufführung nicht als Theaterstück, sondern trat unter dem viel geringeren Anspruch einer "Performance" an. Gemeint ist damit eine - vor allem passagere, höchst vergängliche - künstlerische Darbietung.
Ausgangspunkt sollte laut Titel und Ankündigung William Shakespeares Tragödie "König Lear" sein. Doch zeigte es sich, dass über das Basis-Rollenpersonal und ein paar per Bildschirm eingeblendete Subtitel hinaus nichts Ausgearbeitetes davon vorkam.
Im ersten Teil nahmen drei Töchter-Darstellerinnen als Video-Filmer den "Zorneslauf" des Lear-Darstellers Malte Scholz auf. Das Vorhaben wurde als zeitlupenhafte "Dekonstruktion" angelegt, wobei man Füße, Beine, Rumpf und Kopf-Bild getrennt aufzeichnete.
Im folgenden Teil baute eine der Drei das "Bewegungs"-Profil des Lear aus klobigen, alten Bildschirmen übereinander auf. In einer Endlos-Schleife sah man also nun das Herankommen des Schauspielers verstetigt.
Gleichzeitig fesselten oder dekorierten die zwei übrigen Grazien ihren Kollegen mit von der Decke herabhängenden Kabeln wie einen Weihnachtsbaum. Das ergab zwar ein hübsches Bildmotiv für die Theater-Fotografen, aber mehr eben auch nicht.
Der Mann stand dabei erstarrt und Phrasen schwallend als lebende Statue herum und ließ alles mit sich geschehen. Nicht einmal Geistesverwirrte - geschweige denn Könige - verhalten sich so, da sie doch immerhin Lebewesen sind.
In einem dritten Teil unterhielten sich die drei Grazien mokant über die Verrücktheit der Welt. Ihren Lear-Text, den sie nicht fehlerfrei konnten, hatten sie dabei aufgeteilt. Jede brachte immer nur genau ein Wort heraus und gab dann an die Nächste weiter.
Nebenbei rauchten sie Zigaretten, die sie mehr oder minder geschickt mit ihren Zehen statt den Fingern hielten. Um so etwas zu sehen, gehen also die Leute heute ins Theater?
Folgerichtig kamen die drei "Lear-Töchter" als Nächstes auf die Idee, hinter der Bildschirm-Säule aus der zweiten "Szene" ihre "echten", persönlichen Meinungen über ihren Kollegen als Pseudo-Vater zum Besten zu geben. Spätestens an dieser Stelle war klar, dass diese vorgebliche Shakespeare-Weiterentwicklung weder an jenem Klassiker noch überhaupt an der Welt außerhalb ihrer selbst interessiert war.
In ähnlicher Manier wie bei den sogenannten "Pop-Literaten" à la Judith Hermann erschöpfte sich die Neugier dieser Nachwuchs-Theaterleute in Selbstbespiegelungen. Warum indes sollte sich das Publikum für derart banale "Experimente" und Bekundungen einer neuen Generation im Theater einfinden?
Was die vier Darsteller vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen unter der Regie ihrer Ex-Kollegin Luise Voigt vorlegten, waren rund 60 Minuten gepflegter Inhaltslosigkeit. Das bloße Hantieren mit Kameras, Scheinwerfern und Sound reicht offenbar aus, etwas "Multimedia" zu nennen.
Wenn die jungen Theatermacher weder genug Zeit noch Ideen hatten, einen Stoff wirklich durchzuarbeiten, lieferten sie halt "Irgendwas" ab und nannten das dann "Kunst". Dergleichen geschah offenbar in der Hoffnung, dass sich schon niemand trauen werde, das Machwerk als "Kaisers neue Kleider" zu benennen.
Die rund 80 Zuschauer in dieser Marburg-Premiere - darunter viele Ensemble-Mitglieder, Freunde und Mitarbeiter des Landestheaters - bedachten die Aufführung am Schluss mit dezent freundlichem Applaus. Allerdings verhallten die Einladungen, nach der Performance in der Theaterkantine zu feiern, weitgehend ohne Publikumsecho.
Jürgen Neitzel
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