01.10.2011 (jnl)
Auch das kunsthistorisch Überwundene bleibt bestehen, solange das Publikum danach verlangt. Das zeigte sich exemplarisch in der Vernissage der
GeWo-Galerie am Freitag (30. September). Mit der 57-jährigen Kirchhainerin Monika Sohn und dem 76-jährigen Konrad Dittmar aus Bracht trafen in der aktuellen Doppel-Ausstellung Vertreter zweier Kunst-Auffassungen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Der Landwirtssohn Dittmar zeigte ausschließlich gegenständliche Malerei. Sohn hingegen widmete sich einer experimentierfreudigen, expressionistischen Malweise in figurativer Abstraktion.
Der Schwerpunkt der 42 Dittmarschen Öl-Gemälde liegt auf Landschaftsbildern. Mit wenigen Ausnahmen, die etwa vollbesetzte Ausflugslokale wie die "Walkenmühle" zeigen, sind diese Naturbetrachtungen menschenleer.
Dittmar liebt die Natur sowie die Einbettung dörflicher Strukturen darin. Mit beträchtlichem handwerklichem Können und Detail-Treue überhöht er das Geschaute gern ins Romantische.
Reisen ins Baltikum, die Bretagne, den Gardasee sowie das Alpenvorland haben malerische Motive beigesteuert. Zusätzlich sind drei Blumen-Gebinde mit lebhaften Farben eingefangen.
Zahlreichen Senioren unter den Vernissage-Gästen gefiel diese Richtung offenkundig sogar besser als die etwas schwerer zugängliche - nicht unmittelbar gegenständliche - Malweise Sohns. Die Bilder der Psychologin hängen im - vom Eingang aus gesehen - rechten Trakt der Büro-Etage der
Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GeWoBau). Die 37 Mischtechnik- und Acryl-Malwerke widmen sich motivisch eher dem Innenleben der Menschen als der äußeren Welt.
Persönliche Erlebnisse und Rupturen der Malerin finden sich - leicht verklausuliert - in symbolischen Formen ausgearbeitet. Die starke berufliche Beanspruchung in der klinisch-psychologischen Praxis etwa spiegelt sich in einem ironischen Selbstporträt Sohns aus dem Jahr 2011 als "Ameisendame" wider. Bekanntlich ist die Ameise ein überaus fleißig arbeitendes Wesen.
Neben der Vorliebe Sohns für ausbalancierte farbige Flächen und Strukturierungen fällt besonders ihr ausgeprägter Sinn für feinsinnigen Humor auf. Allein an den Namensgebungen mancher Bilder kann man viel ablesen und seine stille Freude haben.
"Die Geister, die ich rief" oder "Der Denker oder Don't Think twice" geben Einblicke in Alltags-Bewältigungen, die nebenbei erzählerischen Tiefgang verraten. Meistens überzeugt die Bildgestaltung durch Prägnanz und Klarheit.
Stark berührend kommen nicht zuletzt die zwei mit einem Meter mal 70 Zentimetern großformatigsten Bilder "wounded" und "Gebündeltes Chaos" herüber. In ihnen sind biografisch bedingte Schmerzerfahrungen verarbeitet.
Das erklärte Ziel der GeWo-Galerie, Künstlern aus der Marburger Region ein adäquates Forum zu bieten, wird mit dieser Doppel-Ausstellung, die bis Freitag (25. November) hängt, ausgewogen erreicht. Zeitgenössisch orientierte ebenso wie konservative Menschen werden sich in den Bildern dieser beiden Autodidakten je nach Geschmacksrichtung wiederfinden.
Jürgen Neitzel
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