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Zwei betroffen


Neue Verkehrsregeln für Elektronen

01.09.2011 (fjh)
In der Halbleiterphysik gelten ab sofort neue Verkehrsregeln. Elektronen in Halbleitern lassen sich entlang ihrer Bewegungsrichtung nicht so leicht beschleunigen wie quer dazu.
Das postulieren Marburger Physiker, die mit einer neuen Theorie verblüffende experimentelle Daten erklären können. Das Team um Prof. Dr. Stephan W. Koch von der Philipps-Universität veröffentlicht seine Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Physical Review Letters“, die am Freitag (2. September) erscheint.
Elektronen im Halbleiter haben eine im Vergleich zu freien Elektronen veränderte Masse. Diese sogenannte "effektive Masse“ resultiert aus der quantenmechanischen Wechselwirkung der Elektronen mit den Gitteratomen, die den Kristall aufbauen. Sie hängt von der Geschwindigkeit der Elektronen ab. Genauer gesehen, ist dafür der Impuls verantwortlich.
"Ein sich schnell bewegendes Elektron hat im Halbleiter eine andere Masse als ein langsameres“, erklärte Mitautor Koch. „Die effektive Masse kann sogar davon abhängig sein, in welche Richtung sich das Elektron durch den Halbleiter bewegt wie ein Gegenstand, der schwerer ist, wenn er nach Norden fliegt, als wenn er sich nach Osten bewegt.“
Man spricht in diesem Fall von "Anisotropie“. Die genaue Kenntnis der effektiven Masse für alle Geschwindigkeiten und Richtungen ist essentiell für das Verständnis der elektronischen und optischen Eigenschaften von Halbleitern.
Die aktuelle Veröffentlichung fußt auf einer erstaunlichen Entdeckung kanadischer Physiker: Die Wissenschaftler um Prof. Dr. Frank Hegmann von der University of Alberta hatten sich ein besonders raffiniertes Experiment ausgedacht, um die Richtungsabhängigkeit der effektiven Masse für verschiedene Geschwindigkeiten direkt zu beobachten.
Dabei bedienten sie sich der Terahertz-Strahlung. Bei dieser THz-Strahlung handelt es sich um eine unsichtbare elektromagnetische Strahlung im Wellenlängen-Bereich zwischen infrarotem Licht und Mikrowellen.
Herzstück des kanadischen Versuchs sind zwei aufeinanderfolgende THz-Pulse, deren Polarisationen -Richtungen der zugehörigen elektrischen Felder - relativ zueinander gedreht werden können. Ein erster starker Puls - der sogenannte "Pump-Puls" - beschleunigt die Elektronen im Halbleiter auf eine gewisse Geschwindigkeit.
Der zweite, schwächere Abfrage-Puls kann nun die Masse der zuvor beschleunigten Elektronen messen. Dabei macht man sich einen alltäglichen Effekt zunutze.
Leichte Gegenstände lassen sich aufgrund der geringeren Trägheit leichter bewegen als schwere. Ebenso reagieren leichte Elektronen stärker als schwere auf das THz-Feld.
Misst man nun das Feld des durch den Halbleiter hindurch gelaufenen Abfrage-Pulses, so lassen sich Rückschlüsse auf die Masse der Elektronen ziehen. "Der eigentliche Clou an diesem Experiment ist jedoch, dass es eine richtungsabhängige Messung der Massen erlaubt, da die Polarisationen von Pump-
und Abfrage-Puls gegeneinander gedreht werden können“, erläuterte Mitautor Daniel Golde.
Die kanadischen Wissenschaftler machten die unerwartete Beobachtung, dass die Masse der sich bewegenden Elektronen in Bewegungsrichtung größer ist als senkrecht dazu. Es ist also leichter, die Elektronen seitlich abzulenken, als sie noch weiter in Bewegungsrichtung zu beschleunigen oder abzubremsen.
Koch sowie seine Marburger Kollegen Prof. Dr. Mackillo Kira und Dr. Daniel Golde konnten mit ihrer Theorie eindeutig nachweisen, dass die gemessenen Ergebnisse sich auf eine bisher noch nicht beobachtete Art der Anisotropie zurückführen lassen, die nur dann auftritt, wenn die Elektronen zuvor beschleunigt wurden wie in diesem Fall durch die Terahertz-Bestrahlung. Wie die Forscher weiter zeigen konnten, ist dieser Effekt die Folge einer allgemeinen geometrischen Eigenschaft des Elektronensystems. Es tritt somit in nahezu allen Halbleitern auf, selbst in vollkommen isotropen, symmetrischen Materialien.
pm: Philipps-Universität Marburg
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