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Kritik an Vorgehen


Polizei ebnete Nazis den Weg

18.07.2011 (bke)
Entsetzt reagierte die Humanistische Union Marburg (HU) am Montag (18. Juli) auf das Verhalten der Polizei, der giessener Stadtverwaltung und Vertretern der Evangelischen Kirche zum Nazi-Aufmarsch am Samstag (16. Juli) in Gießen. Absolut skandalös sei die Tatsache, dass Polizei und Ordnungsbehörden den Neonazis den Weg durch die Stadt durch Einschränkungen von Bürgerrechten demokratischer Gegendemonstranten freigeräumt haben. Zur Durchsetzung der neofaschistischen Aktion hatte die Polizei 3.500 bis 4.000 Polizeikräfte aus allen Teilen des Bundesgebiets zusammengezogen.
Auch Vertreter des Bündnisses "Gießen bleibt Nazifrei" zeigten sich am Sonntag (17. Juli) in einer Pressemitteilung Verärgert über das Vorgehen der Polizei: "Rechtsbrüche wurden vorbereitet und in Form von Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit am Demonstrationstag umgesetzt."
Auch sei es zu Verweigerungen anwaltlicher Vertretung bei In Gewahrsam nahmen gekommen. "Zahlreichen AntifaschistInnen, die den Aufrufen von Gruppen aus dem Bündnis Giessen bleibt Nazifrei folgen wollten, wurde der Zugang zu den angemeldeten Kundgebungen in der Weststadt verwehrt."
Außerdem sei die Polizei gewaltsam gegen Teilnehmer der Aktionen von "Giessen bleibt Nazifrei" vorgegangen. Hier nannte das Bündnis beispielsweise grundlose Pfefferspray- und Schlagstockeinsätze der Polizei am Gießener Hauptbahnhof und in der Innenstadt.
"Wie zum Hohn der AntifaschistInnen wurden die Neonazis unter massivem Polizeischutz mehrfach an den GegendemonstrantInnen in der Weststadt und am Oswaldsgarten vorbeigeführt", beschwerte sich das Bündnis. Nicht nur als kritikwürdig, sondern auch als beschämend empfinden die Antifaschisten letztlich das Verhalten des Bündnisses "Giessen bleibt bunt“, das ein Innenstadtfest veranstaltet und die Medienlandschaft beherrscht habe.
"Selbst jene AntifaschistInnen, die dem Aufmarsch von Giessen bleibt Nazifrei folgten und an der Route der Neonazis standen, werden dem bunten Bündnis zugerechnet, obwohl dieses ausdrücklich nur in der Innenstadt feiern wollte", schreiben die Sprecher von "Gießen bleibt nazifrei". "Giessen bleibt bunt“ habe nicht die Courage besessen, die friedlichen Aktionen von "Giessen bleibt Nazifrei" zu honorieren.
Auch die HU zeigte sich betroffen darüber, dass das Bündnis "Gießen bleibt bunt" das Verteilen von Flugblättern des anderen Bündnisses "Gießen bleibt nazifrei" mit Hilfe von Polizeibeamten unterbunden hat. In diesem Vorgehen eines Giessener Stadtpfarrers sieht die HU eine undemokratische Zensur, die die christlichen Bekundungen des Zensors unglaubwürdig erscheinen lassen.
"An einer wirksamen Blockade des Aufmarschs von 70 bis 135 Neofaschisten sind die friedlichen Gegendemonstranten durch das starke Polizeiaufgebot mit Gewalt gehindert worden", stellte Tronje Döhmer fest. Der Gießener Rechtsanwalt ist Zweiter Vorsitzender der Humanistischen Union Marburg - Regionalverband Nord- und Mittelhessen.
Dem bürgerlichen Bündnis sei es gelungen, die Bewegung in "Gute" und "Böse" zu spalten. "Gießen war, ist und wird bunt bleiben", bekräftigte Döhmer. "Leider ist die Farbpalette um die Farbe braun erweitert worden."
Mehrere Monate habe das Bündnis "Gießen bleibt bunt" - teilweise unter Ausschluss jedweder demokratischer Kontrolle - mit einer nicht über jede Zweifel erhabenen Polizeiführung zusammengearbeitet, um etwa 60 bis 135 Neonazis mit Unterstützung der Gießener Justiz den Marsch durch die Stadt zu ermöglichen. "Während die Unterstützer dieses bürgerlichen Bündnisses in der Innenstadt feierten und sich in ihrer Selbstgefälligkeit nicht vom Aufmarsch der Faschisten stören ließen, waren außerhalb des Innenstadtbereichs die Grundrechte zugunsten einer gewaltbereiten Polizeistrategie außer Kraft gesetzt", kritisierte Döhmer.
"Das Versammlungsrecht ist auf diese Weise mit Füßen getreten worden", berichtet Döhmer weiter. "Gegendemonstranten wurden mit Gewalt daran gehindert, die Orte angemeldeter Versammlungen zu erreichen. Die Polizei sperrte Ausfahrten des Gießener Rings, Straßen und Brücken, um den Nazis den Weg freizuhalten."
Gegen solche Praktiken gerichtete - schriftlich angemeldete - Spontanversammlungen seien von der Polizei mit fadenscheinigen Argumenten und gewaltsam verhindert worden. "Das sind Zustände, die es in vergleichbarer Weise den Hitler-Faschisten im Jahr 1933 ermöglichten, nach langer Vorbereitung und mit Unterstützung der Bürgerlichen und rechten Sozialdemokraten die Macht zu ergreifen", verglich Döhmer. "Die Stimmen, die davor warnten, wurden
nicht gehört und mundtot gemacht."
Döhmer verwies auf die hohe Zahl von Gewalttaten mit neofaschistischem Hintergrund: "All das sind jedoch für die Bunten keine Gründe, daran mitzuwirken, Nazi-Aufmärsche in Mittelhessen zu verhindern", empörte sich Döhmer.
"Stattdessen feiern sie lieber in der giessener Innenstadt mit genügender Entfernung zum bedrohlichen Geschehen", beklagte er. In der Durchsetzung des Nazi-Aufmarschs mit polizeilicher und behördlicher Unterstützung sieht die HU indes "keinen Grund zum Feiern, sondern eine mittelbare Verhöhnung der Verfolgten und Opfer des Nazi-Regimes".
Bernd Kerseboom/pm
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