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Gemeinsam stark


Betroffene gründet Selbsthilfegruppe für Psychiatrie-Erfahrene

17.07.2011 (bke)
"Die Bewohner dieser betreuten Wohngruppen verlieren ihre Selbstbestimmtheit." Das stört Uta Glatzle an derartigen Einrichtungen für psychisch Kranke. Die Marburgerin plant eine Selbsthilfegruppe für Psychiatrie-Erfahrene.
Ihre eigenen Erfahrungen mit der Behandlung von psychisch kranken Menschen sind nicht immer gut gewesen. Häufig entlasse man Patienten aus Kostengründen viel zu früh aus Psychiatrischen Krankenhäusern in betreute Wohngruppen. Dort würden sie dann von zu wenig geschultem Personal beaufsichtigt.
Eine freie Arztwahl gebe es dort faktisch nicht. "Einmal alle zwei Wochen werden die Bewohner von den Pädagogen in einen Bus gesetzt und zur Untersuchung zu einem Psychiater gefahren", berichtet Glatzle. Wer auf sein Recht bestehe, sich seinen Arzt selber auszusuchen, der würde häufig nicht ernst genommen.
"Die müssen extra fragen, wenn sie sich von ihrem eigenen Taschengeld ein Päckchen Zigaretten kaufen wollen." Die psychisch Kranken verlören mit der Zeit immer mehr ihre Selbstbestimmung. Das liege hauptsächlich daran, dass sie nicht vollständig und gewissenhaft über ihre Möglichkeiten Informiert würden.
Doch die Behandlung von entlassenen Patienten ist nicht Glatzles einziger Kritikpunkt. Sie kritisiert vor allem die Umstände, unter denen manche Patienten in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden. Dem Gesetz nach muss der zuständige Richter eine Einweisung in die Psychiatrie verfügen. Dazu muss er die betroffene Person selbst in Augenschein nehmen.
"Nach der Einweisung pumpen die einen so mit Medikamenten voll, dass man die eigene Adresse nicht mehr weiß, wenn der Richter kommt", weiß Glatzle von einzelnen Betroffenen. Auch bestehe bei manchen Richtern die Tendenz, den Gutachten bestimmter Psychiater unkritisch zu folgen, weil sie mit ihnen bereits lange zusammenarbeiten.
Glatzle selbst leidet ebenfalls unter psychischen Problemen. Sie konnte sich allerdings schon mehrfach einer Einweisung widersetzen.
Das sei schwierig und anstrengend. Man müsse seine Möglichkeiten gut kennen.
Genau an dieser Stelle soll die Selbsthilfegruppe ansetzen. Glatzle hat dabei aber kein fest definiertes Ziel.
Am wichtigsten sei es, Kontakt zwischen den Betroffenen herzustellen. Sie sollen dann Erfahrungen austauschen und Strategien besprechen.
Das Projekt wird nur von Glatzle und einigen anderen Betroffenen angestoßen. Um sich Rat zu holen, hat sie sich an den Bundesverband für Psychiatrie-Erfahrene (BPE) in Bochum gewendet. Dort bekam sie einerseits Anregungen und andererseits Informationen über bereits bestehende Selbsthilfegruppen.
Eine Vereinsmitgliedschaft ist jedoch nicht nötig, wenn man an der Gruppe teilnehmen und sich austauschen will. "Die Meisten haben Angst, wenn so ein großer Verein dahinter steht", weiß Glatzle.
Die Gruppe soll tatsächlich nur dem Erfahrungsaustausch dienen und niemanden zu sehr einengen. Auch wünscht Glatzle sich die Möglichkeit eines Vortrags, der über die Probleme vieler Psychiatrie-Erfahrener aufklärt.
Die Gruppe soll sich zunächst immer Donnerstags ab 18 Uhr in den Räumen der Aids-Hilfe in der Bahnhofstraße 27 treffen . Wer weitere Informationen und die genauen Termine und Uhrzeiten erhalten möchte, kann sich per e-Mail an AufbruchMR at gmx wenden.
Bernd Kerseboom
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