11.06.2011 (fjh)
Es ist still geworden um das tödliche Drama, das sich dennoch immer noch weiter abspult. Schleichend greif der Strahlentod um sich. Auch die Geretteten hausen nach wie vor in Notunterkünften unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Doch nur selten liest man etwas in deutschen Zeitungen darüber. Ebenso selten tauchen in jüngster Zeit noch Bilder im Fernsehen oder Berichte im Radio auf. Die Gefahr ist nun nicht mehr neu und deshalb anscheinend keine Nachricht mehr wert.
Genau drei Monate ist die Atomkatastrophe in Fukushima nun her. Flimmerten Bilder des Dramas in den ersten Tagen danach noch im Minutenabstand über bundesdeutsche Bildschirme, so senden die Stationen jetzt nur noch selten neue Nachrichten von dort.
Fast wöchentlich jagen die Medien eine neue Sau durch das mediale Dorf. Waren es kurz nach dem Erdbeben und dem Tsunami in Japan Berichte aus Libyen und später aus dem Jemen oder Syrien, so stürzten sich die Journalisten danach auf das todbringende Darmbakterium EhEC. Schließlich lag diese unheimliche Gefahr den Deutschen viel näher als die Radioaktivität weit weg im japanischen Fukushima.
Gewiss wurde auch über den Atomausstieg in Deutschland oder über "Stuttgart 21" berichtet; doch alle Informationen flackerten nur kurz auf den Bildschirmen auf, um danach wieder im unscheinbaren Nichts der öffentlichen Aufmerksamkeitzu entschwinden. Mitunter tauchten diese Themen noch am Rande der Berichterstattung auf, um dann aber wieder gänzlich dem Schweigen der Lemminge anheimzufallen.
Neuigkeit, räumliche Nähe, Ausmaß und Dramatik sowie Prominenz gelten als Kriterien für den Nachrichtengehalt eines Ereignisses. Nachhaltigkeit spielt bei den schnelllebigen Medien des 21. Jahrhunderts dagegen keine wesentliche Rolle mehr.
So hecheln die Berichterstatter in Presse, Funk und Fernsehen der Politik hinterher, die sich genausowenig nachhaltig verhält. Zwei-Minuten-Statements in Fernseh-Talkshows scheinen ihr wichtiger als begründete Argumente und weitsichtige Strategien.
Macht wird an Politiker im Vier- oder Fünfjahresrhythmus vergeben. Vergeblich scheinen da Forderungen nach Nachhaltigkeit über diesen beschränkten Horizont hinaus.
Kurzweilige Unterhaltung tritt an die Stelle fundierter Erklärungen. Täglich müssen neue Themen und andere Bedrohungsszenarien her, um das dämliche Publikum bei Laune zu halten.
Das jedenfalls meinen manche Medienmacher wohl, wenn sie nicht kontinuierlich bei der Sache bleiben. Doch ist die Leserschaft oder das Publikum der audiovisuellen Medien wirklich so dumm?
Jeden Montag demonstrieren in Marburg Hunderte für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Seit Montag (14. März) ziehen sie allwöchentlich durch die Straßen der mittelhessischen Universitätsstadt.
Zwar ist ihre Zahl meist von Woche zu Woche geringer geworden; doch immer noch treffen sich montags mehr als 250 Demonstrierende auf dem Elisabeth-Blochmann-Platz. Auch am Pfingstmontag und eine Woche später sollen sich dort um 18 Uhr wieder Demonstrierende zusammenfinden, um ihrer Kritik an der Nutzung der Atomenergie Ausdruck zu verleihen.
Einen wahren Kraftakt bewältigt das
Anti-Atom-Plenum Marburg (AAM) mit der Vorbereitung der wöchentlichen Demonstrationen sowie weiterer Aktionen gegen Atomanlagen. Diese unermüdliche Aktivität kostet Kraft. Dennoch waren es beim zwölften Marburger Montagsspaziergang gegen Atomkraft am Montag (6. Juni) immerhin noch gut 250 Menschen, die da forderten: "Abschalten, und zwar jetzt und zwar alle und für immer!"
Sollte man diese Forderung nicht vielleicht auch auf die etablierten Medien bezihen? Sollten kritische Bürger nicht auch ihre Fernsehgeräte und Radios abschalten, damit die viel bemühte Quote den Machern zeigt, was mündige Menschen von ihnen erwarten?Ärgerlich sind die Äußerungen wirtschaftsnaher Bedenkenträger, die bei den Medien in jüngster Zeit viel Raum für ihre vorgeblichen Sorgen finden, ein schneller Ausstieg aus der Atomkraft bedrohe Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland. Manchmal möchte man meinen, Medien müssten sich wieder einmal dem Diktat des großen Geldes beugen, das ihnen schon bei der Zerschlagung der Sozialsysteme das Wort "alternativlos" eingeflüstert hat.
Dabei ist eine andere Energiepolitik möglich. Sonne, Wind und Wasser wären fast überall in der Lage, einen Großteil des Stromverbrauchs zu sichern.
Zudem ist die Bedrohung gar nicht weit weg. Sie steht in Biblis, Brokdorf, Philippsburg oder Krümmel. Rhein und Neckar, Isar und Elbe liefern das Wasser zur Kühlung von Reaktoren, die natürlich "todsicher" sind.
Doch um die angeblichen Gefahren von Windrädern wird viel Wind gemacht, während Atomanlagen angeblich "unverzichtbar" sein sollen. Mehr als zehn Jahre sollen die Deutschen nach dem Willen der Bundesregierung noch warten, bis die letzten Atommeiler abgeschaltet werden. Ginge es nach dem Willen ihrer Betreiber, geschähe das wohl am Sankt-Nimmerleins-Tag.
Wenn was geschieht, dann kann das Hunderttausende das Leben kosten. Allein die Größe der Gefahr sollte also Grund genug sein zumindest für eine kontinuierliche Berichterstattung.
Doch die Art der medialen Aufbereitung stumpft die – längst auf kurze Gimmicks konditionierten – Zuschauer und Zuhöerer ab. Scheibchenweise haben die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland ihre Programme der "Qual-ität" privater Sender angeglichen. Shows mit eitlem Talk und sinnentleerten Nebelkerzen sind an die Stelle aufklärerischer und investigativer Berichterstattung getreten.
Mit einer Salami-Taktik haben Medienmacher die Volksverdummung vorangetrieben. Die Werbung tut ein Übriges, um eine regelrechte Gehirnwäsche unter das Volk zu bringen.
"Denkst Du schon oder glotzt Du noch?" Disen abgewandelten Werbeslogan einer unmöglichen Möbelkette könnte man zum Motto all derjenigen machen, die ihr Fernsehgerät schon abgeschafft haben, um mehr Zeit für tiefgehendere Informationen und eine gründlichere Auseinandersetzung damit zu finden.
Ein nachhaltiger Journalismus müsste die Themen immer wieder aufgreifen, die in vorangegangenen Tagen, Wochen oder Monaten wichtig waren. Wie haben sie sich weiterentwickelt und was geschieht dort momentan?
Diese Frage dürfte nicht nur an Stichtagen wie Samstag (11. Juni) aufkommen. Der Tag, an dem die Katastrophe von Fukushima genau vier Monate her ist, sollte aber zumindest ein Anlass zur ausführlicheren Berichterstattung sein.
"Alle reden von Nachhaltigkeit, aber keiner nimmt sie ernst." So könnte man in Abwandlung eines alten Spruchs der Friedensbewegung klagen. Wenn dann wieder die nächste mediale Sau durchs Dorf getrieben wird, dann weiß der kritische Betrachter sicherlich schon, was auch aus ihr schon bald werden wird: Salami!
Franz-Josef Hanke
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