04.06.2011 (fjh)
"Die Finanzmärkte zwischen Cash und Crash" lautete der Titel eines "Rückblicks und Ausblicks“ von Frank Graf beim "Politischen Salon". Auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft "Arbeit und Leben" sprach der Marburger Diplom-Politologe am Freitag (3. Juni) in der Volkshochschule Marburg (VHS).
Bei der Begrüßung der zahlreich erschienen Gäste freute sich Moderator PD Dr. Johannes M. Becker darüber, dass das Atelier der VHs bis auf den letzten Platz besetzt war. Auch wenn die Finanzkrise mittlerweile weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden sei, seien ihre Auswirkungen doch immer noch spürbar. Voraussichtlich werde sich das so bald auch nicht ändern.
Mit dem Referenten stellte Becker einen Experten vor, der nicht nur die Arbeit in einer Bank aus eigener Erfahrung kenne, sondern der auch zehn Jahre lang als Finanzberater tätig war, bevor er sich aus diesem Gewerbe wieder verabschiedet habe. Diese Berufslaufbahn wie auch sein Studium bei dem Marburger Politologen Prof. Dr. Georg Fülberth prädestinierten ihn, die Entwicklungen auf den Finanzmärkten kritisch zu hinterfragen.
Seinen Rückblick begann Graf mit der Konferenz von Bretton Woods, auf der das Weltwirtschaftssystem für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegt worden war. Der Wiederaufbau und die Überwindung des Mangels nach dem Kriegsende hätten der Weltwirtschaft dann einen lang anhaltenden Boom beschert.
Das habe sich 1973 mit der sogenannten "Ölkrise" und der Sättigung der Märkte geändert. Diese Entwicklung habe zu einem Paradigmenwechsel in der internationalen Wirtschaftspolitik geführt.
Der 1973 beim Putsch gegen Chiles demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende an die Macht gelangte General Augusto Pinochet habe sich als Erster weltweit von neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlern beraten lassen. Die Empfehlungen der "Chikago-Boys" habe er weitgehend umgesetzt.Diesem Beispiel folgten in den 80er Jahren dann die britische Premierministerin Margret Thatcher und der US-Präsident Ronald Reagan. Nach und nach habe sich diese Wirtschaftspolitik dann weltweit durchgesetzt.
Durch die darin vorgegebene Liberalisierung der Märkte seien wichtige Kontrollinstrumente abgebaut worden. Vor allem die Macht der Großbanken und anderer Konzerne habe so gigantische Ausmaße erreicht, dass sie beinahe ungehindert schalten und walten konnten.
"To obig to fail", lautete die Einschätzung, als schließlich die ersten großen Geldinstitute ins Trudeln gerieten. Mit dem Platzen einer riesigen Immobilienblase wurden große Teile ihrer Anlagen in "verbrieften" Hypotheken wertlos, weil die Eigentümer ihre Verbindlichkeiten nach spürbaren Zinserhöhungen nicht mehr begleichen konnten.
Hektisch seien Großbanken von noch größeren Geldinstituten geschluckt oder Versicherungen und Hypothekenbanken durch die Regierungen ihrer Herkunftsstaaten mit Milliarden-Bürgschaften gerettet worden. Mit der Übernahme der Schulden durch die Staaten seien die Spekulationsrisiken letztlich auf die Steuerzahler übertragen worden.
Nachdem nun Länder wie Griechenland, Irland und Portugal diese Lasten kaum mehr schultern können, erlege ihnen vor allem die Kommission der Europäischen Union (EU) dramatische Sparprogramme auf. Die Verpflichtung zu weitreichenden Privatisierungen und dem Abbau von Sozialleistungen sowie dem Lohnverzicht der Staatsbediensteten erschwerten die Rückzahlung aber noch zusätzlich.
Deswegen seien die Folgen der Finanzkrise noch lange nicht überwunden, prognostizierte Graf. Die Zerteilung großer Wirtschaftseinheiten in überschaubare Größenordnungen habe noch nicht stattgefunden. Allein sie erlaube jedoch ein Vorgehen, bei dem Fehlverhalten und Missmanagement auch zum Konkurs führen könnte.
Franz-Josef Hanke
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