31.05.2011 (fjh)
Das Ende der Atomenergie prognostizierte Dr. Peter Becker am Montag (30. Mai) auf dem Marktplatz. Dort hielt der Marburger Rechtsanwalt die Abschlussrede zum zwölften Marburger Montagsspaziergang.
Gut 300 Menschen waren dem Aufruf des
Anti-Atom-Plenums Marburg (AAM) gefolgt. Mit Sprüchen und Liedern zogen sie hinter ihrem großen Transparent vom Elisabeth-Blochmann-Platz zum Marktplatz. Vor dem Marktbrunnen hielt Becker dann die Abschlussrede zur Demonstration, bevor er im Rathaus
sein neues Buch vorstellte.
Sein Rückblick auf den Umgang mit der Atomenergie in Deutschland begann mit der Feststellung, dass nach dem Abwurf US-amerikanischer Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 weltweit der Wunsch bestanden habe, diese Technik lieber für friedliche Zwecke zu nutzen. Dieses Ziel habe die Bundesregierung unter dem ersten Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer den Stromkonzernen mit äußerst günstigen Rahmenbedingungen und Subventionen versüßt.
Kritische Bürger hätten bis in die 80er Jahre hinein praktisch keine Chance gehabt, gegen Atomanlagen zu klagen, erklärte der Marburger Rechtsanwalt. Das habe sich erst mit dem Einzug der Grünen in die Hessische Landesregierung geändert.
In seinem Kalkar-Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Begriff des sogenannten "Restrisikos" als Grundlage des Umgangs mit gefährlicher Technologie festgelegt. Demzufolge handele es sich bei den Gefahren der Atomtechnik um ein Risiko, das dem allgemeinen Gefahrenpotential des alltäglichen Leebens in einer modernen Gesellschaft zuzuordnen sei.
Anforderungen an die Sicherheit von Atomanlagen seien allein auf die Einschätzung der amtlichen Experten in der sogenannten "Reaktorsicherheitskommission" (RSK) gegründet worden. Kritische Experten hingegen seien überhaupt nicht angehört worden.
Mit dem Einzug der Grünen ins Hessische Umweltministerium unter dem Landesminister Joschka Fischer habe man dann aber den kritischen Sachverstand in staatliche Entscheidungen zur Atomkraft mit einbezogen. Entstanden sei der sogenannte "ausstiegsorientierte Vollzug" des Atomgesetzes.
Eine maßgebliche Rolle habe dabei der ehemalige Marburger Kreisbeigeordnete und spätere Staatssekretär in Hessen und im Bundesumweltministerium unter Jürgen Trittin gespielt. Rainer Baake hat den sogenannten "Atomkompromiss" mit den Kraftwerksbetreibern ausgehandelt, der einen Ausstieg aus der Nutzung dieser gefährlichen Energie vorsah.
Als "schweren Fehler" bezeichnete Becker die Aufkündigung dieses Kompromisses durch die amtierende Bundesregierung. Schließlich habe dieser Kompromiss den Streit um die Atomkraft weitgehend beruhigt.
Durch die Laufzeitverlängerung habe die schwarz-gelbe Bundesregierung diese Auseinandersetzung wieder aufgemacht. Im wesentlichen führte Becker diese Entscheidung auf die FDP und den Einfluss der Atom-Lobby zurück, die die Atomkraftwerke so lange wie möglich weiter nutzen wollte.
Nach der Katastrophe von Fukushima sei die Unhaltbarkeit dieser Entscheidung überdeutlich geworden. Kritiker innerhalb der Union wie Bundesumweltminister Norbert Rötttgen konnten sich mit ihrer Forderung nach einem Atomausstieg durchsetzen.
Als "kluge Strategie" betrachtete der Jurist die Berufung einer Ethik-Kommission, die der Forderung nach einem Atomausstieg auch eine rechtliche Grundlage verleihe, indem sie sie als Wunsch der breiten Bevölkerung ausweise. Darauf könnten juristische Entscheidungen nun gut aufbauen, meinte Becker.
Der Rechtsbegriff des sogenannten "Restrisikos" sei nach Fukushima nicht mehr haltbar. Im hochtechnisierten Japan sei schließlich geschehen, was alle Experten niemals für möglich gehalten hätten.
Auch wirtschaftlich sei die Atomkraft zunehmend weniger attraktiv. Allein die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) halten immer noch an ihren Atomkraftwerken fest, während ihre drei großen Konkurrenten sich bereits seit Längerem in einer Absetzbewegung befänden.
"Die Atomkraft hat in Deutschland keine Zukunft mehr", erklärte Becker unter dem Beifall der Demonstrierenden. Die Energiewende sei längst im Gange und inzwischen auch unumkehrbar.
Nach dem Ende seiner Rede sang Beate Lambert erneut ihren Rap "Abschalten, und zwar jetzt und zwar alle und für immer". Nach zwei weiteren Songs der Marburger Kinderliedermacherin beendete Gunter Kramp vom Anti-Atom-Plenum die Veranstaltung auf dem Marktplatz, damit im Rathaus eine ausführlichere Diskussion über Beckers Buch "Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne" beginnen konnte.
Franz-Josef Hanke
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