30.05.2011 (fjh)
"Grimmige Märchen" präsentierte die
Schreibwerkstatt Marburg am Sonntag (29. Mai) zum hessischen Tag der Literatur. Unter dem Titel "Rucke di guck, Blut ist im Schuck“ lasen sieben Autorinnen und ein Autor im
Spiegelslust-Turm ihre witzigen und ernsten Um- oder Weiterschreibungen auf Märchen der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm vor.
Gleich zu Beginn verwandelte sich das Grimmsche Rumpelstilzchen bei Catherine Kemeny in einen erfolgreichen Börsenmakler, der mit Warentermingeschäften aus Stroh Geld macht. Besonders gelungen war bei dieser pfiffigen Adaption in die moderne Investmentbanker-Szene der wahrhaft originelle Schlussgag.
Mit ähnlichem Einfallsreichtum hatte Hermine Geisler ihre Geschichte über die Lebenszeit ausgearbeitet. Gott verteilt jedem Tier seine spezifische Lebenszeit, wobei alle ihr Los lieber ein paar Jahre kürzer ertragen wollen als von Gott angeboten. Lediglich der Mensch möchte länger leben.
Gott überträgt ihm großzügigerweise all die Jahre, die er den anderen erlassen hat. Was sich der Mensch damit allerdings eingehandelt hat, das beschreibt Geisler in ihrer Schlusspointe mit viel feinsinnigem Humor.
Besonders gekonnt war auch ihr Vortrag, bei dem jedes Lebewesen einen anderen Dialekt sprach. Lediglich das Berlinern des Affen war nicht ganz geglückt.
Auch "Wolfi" als eine Gegenposition der Autorin Kristina Lieschke zu "Rotkäppchen" war eine durchaus gelungene Geschichte. Die meisten anderen Autoren bewiesen ebenfalls Witz und Humor, wenngleich ihre Märchen-Adaptionen hinter denen zu Beginn und zum Schluss der Lesung deutlich zurückblieben.
Ursula Engels "Marburger Stadtmusikanten" waren eine leichte Kritik an der Kommunalpolitik. Elke Terre-Stahls Märchen-Potpourri endete nach einigen – weniger gelungenen – Irrungen und Wirrungen mit einer sehr feinsinnigen Beschreibung der Sinnfragen von Leben und Tod.
Die musikalische Umrahmung von Uta Knoop am Klavier sorgte für die notwendige Abgrenzung der einzelnen Darbietungen wie auch für einige kurze Denkpausen. Barbara Holstein Seifert leitete mit einer zurückhaltenden Moderation gekonnt ins Thema ein und sorgte auch für die Zusammenstellung des Abendprogramms.
Die Brüder Grimm, die Anfang des 19. Jahrhunderts in Marburg Jura studiert hatten, wurden so auf heitere Weise wieder lebendig. Witz und mitunter auch Wortgewalt sowie Vortragskunst machten die Veranstaltung zu einer vergnüglichen Unterhaltung mit literarischen Anklängen.
Franz-Josef Hanke
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