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Markante Fotografien


Vernissage für Gerhard Dippels Surrealistik

07.05.2011 (jnl)
Wie kann man die Fotografie neu reizvoll machen? Das fragte sich der heute 72-jährige Dr. Gerhard Dippel. Seine am Freitag (6. Mai) eröffnete Ausstellung in der "Galerie Bruno P." beantwortet die Ursprungsfrage formschön und überzeugend.
Mit Mehrfachbelichtungen - so zeigen seine Exponate eindrucksvoll - kann man selbst hunderttausendfach "geknipste" Motive wie die Elisabethkirche neu interpretieren. Der Großteil der ausgestellten großformatigen Bilder - nahezu alle auf Leinwand aufgezogen - zeigt allerdings Porträts.
Da ist etwa die Aufnahme einer skeptischen 50-jährigen Dame überlagert von einer weit jüngeren Gemalten, wie sie vielleicht früher einmal erschien. Die Gesichtsfläche eines schelmisch lächelnden Türken gibt in der Überlagerung den Blick frei auf ein Prachtareal seiner Heimatstadt.
Verzwickter sind zwei Bilder, die ebenfalls je ein Gesicht abbilden, dabei aber so intensiv überlagern, dass man sehr genau hinschauen muss. Völlig ineinander fließen die Aufnahme einer Hand beim Kalligraphieren und die Gesichtspartie der Zeichnenden. Wo hört die Nase auf und wo fängt der Daumen an?
Ein weiteres Bild zeigt ein junges Frauen-Antlitz, das - projiziert auf zwei Puppenköpfe - unversehens zu einem Vexierbild wird. Je nachdem, wie man hinschaut, sieht man entweder die beiden getrennten Puppenköpfe oder das über beide verteilte Gesicht.
Der Foto-Künstler benannte als Motto und Titel seiner Ausstellung "Surrealistische Fotographie". Der Begriff "Surrealismus" bezieht sich dabei kaum auf die kunsthistorische Epoche des 20. Jahrhunderts, sondern wird von ihm neu interpretiert.
An zwei Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit erläuterte Dippel in einer kurzen Ansprache seine Auffassung des "Surrealen". Die Ex-Politiker Roland Koch und Gerhard Schröder dienen ihm als Musterbeispiele, wie Leute durch einen radikalen Wechsel in die Sphäre des Lobbyismus oder Managements ihr ohnehin hoch umstrittenes "Image" gänzlich zum "Schillern" bringen.
Wenn Personen sich entgegen ihrem bisherigen Bild in den Köpfen der Anderen "neu erfinden", dann geraten mehrere "Images" beim Publikum miteinander in Konflikt. Das passt in der Tat wunderbar zu der fotographischen Praxis der Mehrfachbelichtungen.
Dippel selbst ist ein lebendes Beispiel dafür. Der - vital wirkende - schlanke Brillenträger ist von Haus aus ein seit Jahrzehnten in Marburg etablierter niedergelassener Arzt für Dermatologie. Mit seiner ersten Ausstellung erfüllte er sich den Wunsch, noch einmal etwas ganz Neues zu wagen.
Ganz Ähnliches gilt übrigens für Bruno Paoletti, der, nachdem er seine Rente durch hatte, als Galerist neu durchstartete. In den von ihm genutzten kleinen Saal der städischen Brüder-Grimm-Stube lädt er ausschließlich Künstler ein, die zu Marburg und seiner näheren Umgebung eine enge Beziehung haben.
Die rund 40 Gäste der Vernissage erwartete ein sehr ansprechendes Programm. Die zu Beginn allesamt sorgfältig verhüllten Bilder wurden vom Künstler einzeln aufgedeckt und erläutert. Der auf Klassik und Bossanova spezialisierte Konzertgitarrist Wolf-Rüdiger Sänger gab mit Interpretationen von Heitor Villa-Lobos und Fernando Sor musikalische Einlagen.
Die im Raum vorhandenen Glasvitrinen - an der Stirnseite und im Rauminneren - nutzte Paolettis Lebensgefährtin Brigitte Schmitz zur Präsentation ihrer Keramik-Mosaike. Die Ehegattin Dippel zeigte sich ihrerseits als eine alltagsnahe "Künstlerin" eigener Provenienz. Ihr Vernissagen-Büffet voller kulinarischer Köstlichkeiten war bemerkenswert, ohne surreal zu sein.
Bis Sonntag (29. Mai) hat man dienstags bis donnerstags von 14 bis 18:30 Uhr Gelegenheit, die schöne, rätselhafte Kunst der Mehrfachbelichtungen von Dippel anzuschauen. An den Wochenenden ist der Künstler laut Konzept der Galerie selbst anzutreffen.
Jürgen Neitzel
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