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Markante Geschichte


Zehn Jahre Zentrum für Konfliktforschung

07.05.2011 (jnl)
Runde Jubiläen bieten Gelegenheit zu Rückblick und Ausblick. Die Feierlichkeit zum zehnjährigen Bestehen des Zentrums für Konfliktforschung (ZfK) an der Philipps-Universität am Freitag (6. Mai) in der Alten Aula bot eine Reihe hochkarätiger Redner auf.
"Die Philipps-Universität schätzt sich glücklich, eine Institution zu haben, die mit einem breiten Angebot an Methodiken und Didaktiken in Lehre und Forschung Wege aufzeigt, gewalttätige Konflikte ohne den Einsatz von Militär zu regeln", betonte Prof. Dr. Katharina Krause. In ihrem Grußwort hob die Universitätspräsidentin hervor, wie stolz sie auf diese Erfolgsgeschichte sei, gerade weil sie auch die Geburtswehen zu Beginn mitbekommen habe.
Das - im deutschsprachigen Raum - einzigartige Nebenfach-Studienangebot, das derzeit von weit über 1.000 Studierenden genutzt wird, und der Master-Studiengang, der mittlerweile seinen siebten Durchgang erlebt, haben die Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität zu einer festen Größe gemacht. Um die 30 Studienplätze bewarben sich im Jahr 2010 zehn Mal so viele Studierende, obwohl es mittlerweile sechs deutsche Master-Angebote für Friedens- und Konfliktforschung gibt. Der 2011 erstmals stattfindende gemeinsame Master-Studiengang mit der Universität Kent erweitert das Angebot um eine zusätzliche internationale Dimension.
Bürgermeister Dr. Franz Kahle überbrachte in seinem Grußwort die Glückwünsche der Stadt Marburg. Er betonte, dass ein solches wissenschaftliches Zentrum ganz besonders gut zu Marburg passe. Bereits der Universitätsgründer Philipp der Großmütige hätte kluge Konfliktforscher brauchen können, als er die machtpolitischen Folgen seiner "Ehe zur linken Hand" zu gering einschätzte.
Die Stadt der Religionsgespäche setze auch in der Gegenwart überregionale Akzente. Als Beispiel nannte Kahle die Marburger Solarsatzung. Für sie habe man vor Gericht im Konflikt mit der schwarz-gelben Landesregierung entschlossen streiten müssen.
Das Forschungsfeld der Konfliktforschung finde in dieser Stadt einen reich gedeckten Tisch. Das zehnjährige Zentrum habe sich als Attraktion Marburgs entpuppt.
Der geschäftsführende Direktor des ZfK Prof. Dr. Mathias Bös betonte, der Standort Marburg habe in der wissenschaftlichen Fachszene große Reputation erlangt. Mit den neu berufenen Professoren sei man bestens aufgestellt.
Die Gesellschaft auch des 21. Jahrhunderts bestehe nicht zuletzt aus andauernden Konflikten. Dem ZfK komme eine Wegweiser-Rolle in den Spannungsfeldern der Gegenwart zu. Er persönlich freue sich, dass das ZfK auch ein Ort lebendiger Diskussionen sei und bleibe.
Der emeritierte Psychologie-Professor Dr. Gert Sommer hielt einen überaus langen, detailreichen Festvortrag zur Vorgeschichte des ZfK. Dabei beleuchtete er eingehend die Rolle der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Friedens- und Abrüstungsforschung (IAFA), die der Gründung des ZfK als Basis vorausgegangen war.
Die US-Außenpolitik der 70er Jahre mündete zu Beginn der 80er Jahre in den NATO-Doppelbeschluss. Er verfolgte das Ziel, einen Atomkrieg in Europa führbar zu machen. Gegen diese - für Deutschland existenzbedrohende - Strategie wuchs eine breite Friedensbewegung.
Rund 50 Wissenschaftler aus beinahe allen Fachbereichen der Philipps-Universität arbeiteten seit 1983 im Marburger Forum und seit 1986 in der IAFA friedenspolitisch zusammen. Federführend waren über viele Jahre hinweg Dr. Rainer Rilling vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) sowie Dr. Johannes M. Becker, der auch heute im ZfK eine leitende Rolle innehat.
Allerdings hätten neben der intellektuellen Ebene ebenso die bemerkenswerten Kochkünste des Physik-Professors Olaf Melzheimer sowie die geselligen Weinproben beim Soziologen und späteren ZfK-Gründungsdirektor Prof. Dr. Ralf Zoll eine wichtige, integrative Rolle gespielt.
Der ebenfalls mittlerweile emeritierte Zoll hielt den zweiten Festvortrag. Gerne hätte er frei vorgetragen, betonte er eingangs, aber die engen Zeitvorgaben ließen das leider nicht zu.
Dennoch erlebte man eine quicklebendige Rede mit zahlreichen kleinen ironischen oder ernsten Seitenhieben. Er wolle nicht - wie üblich - "nur Gutes" schildern und Konflikte und Missgunst in den Reihen der Wissenschaftler schlicht weglassen, sagte Zoll.
Für seine vorausgeschickten zwei Sätze über die aktuelle Erschießung Osama bin Ladens erhielt er - wie auch später mehrfach - spontanen Applaus im Publikum.
Für eher unwahrscheinlich hielt er, dass die Welt durch Töten wirklich besser werde. Der Tod eines Menschen sei gewiss kein Anlass zu Freudenausbrüchen.
Als "Märchen" mit "Guten" und "Bösen" beschrieb er die Gründung des ZfK. Es habe gegen viele Intrigen in der Fachszene ebenso wie in der Marburger Hochschullehrerschaft durchgesetzt werden müssen.
Auch vor Verleumdungen hätten die Gegner nicht zurückgeschreckt. Nur vermittels eines großen Netzwerks unterstützender Kollegen hätten die Befürworter die Gründung erkämpfen können.
Die Ausrichtung des ZfK sei gegen den bisherigen Mainstream des Fachs mit einem erweiterten Begriff von "Konflikt" erfolgt. Besonders das - über das herkömmliche Erforschen militärischer Konflikte hinausgehende - Konzept, wirtschaftliche und ökologische Ursachen sowie Guerilla- und Bürgerkriege miteinzubeziehen, habe Gegner in der Fachszene wie in der Politik mobilisiert.
Als wichtigen Mitstreitern nannte Zoll den heutigen Hersfelder SPD-Landtagsabgeordneten Torsten Warnecke, der damals Politikwissenschaft in Marburg studiert hatte. Am zweijährigen Kampf um die Genehmigung des Nebenfachstudiums am ZfK habe er besonderen Anteil gehabt.
Ebenso habe der heutige ZfK-Professor Thorsten Bonacker als Weggefährte der Gründung einen großen Beitrag geleistet. Besonders hervorgehoben wurde auch Prof. Dr. Bertholt Meyer, der als Wissenschaftler in der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) eine wesentliche, unterstützende Rolle spielte.
Zoll formulierte für die Zukunft drei Wünsche, die er dem ZfK mit auf den weiteren Weg geben wolle. Das ZfK solle die Akzentuierung auf die Erforschung wirtschaftlicher und ökologischer Ursachen weiter ausbauen. Das interdisziplinäre Potenzial solle noch stärker genutzt werden. In der Lehre sollte man Kreativität und emotionale Intelligenz der Studierenden verstärkt berücksichtigen.
Als Abschluss-Clou präsentierte er - gemeinsam mit seinem Kollegen Bös - zwei T-Shirts mit den Aufschriften "center for conflict studies (ccs)- chairman" und "founding chairman". Auch diese unerwartete Geste, die beiden sichtlich Vergnügen bereitete, fand den spontanen Beifall im Festsaal.
Jürgen Neitzel
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