04.05.2011 (jnl)
So etwas möchte man öfter erleben. Das Tanztheaterstück "In Hülle und Fülle - Tanzperformance in vier Bildern" war am Dienstag (3. Mai) in der
Waggonhalle zu sehen.
Das nur 40 Minuten kurze - aber intensive - Tanzereignis war das Resultat eines Wahlpflichtkurses an der
Philipps-Universität. Sieben Studentinnen des Instituts für Sportwissenschaft stellten unter Leitung der erfahrenen Tanz-Potenzialtrainerin Brigitte Heusinger von Waldegge eine anspruchsvolle Performance auf die Beine.
Mit einer ausgefeilten Dramaturgie steigerte sich die Darbietung von einfachen Formen hin zu komplexen Gruppierungen. Im vierten und abschließenden "Bild" wurden sowohl ein gebautes Bühnenbild als auch reflektive Sprache im Kontrast zu Körpersprache eingesetzt.
Nahezu pünktlich um Acht wurde es stockdunkel und eine spannungssteigernde Minute lang - während die Akteurinnen unsichtbar Aufstellung nahmen - passierte nichts Wahrnehmbares. Dann gaben die Scheinwerfer den Blick frei auf drei - je vier Meter lange - weiße Seidenstoffbahnen.
Die je zwei jungen Frauen an den Schmalenden kommunizierten über die Bahnen. Per Heben und Senken des Stoffes lief jeweils ein Lufthügel von Einer zur Anderen. Allerlei Möglichkeiten dieses Ausgangsmaterials wurden durchprobiert.
Krönender Abschluss dieses ersten Bilds war die Exploration des Tuchs durch eine Tänzerin, die mit dem - wiederum von zwei Anderen nur mehr passiv gehaltenen - "Band der Beziehung" mannigfaltige Interaktionen unternahm. Die einen Meter breite Bahn wurde nacheinander zur Hängematte, zum Fallstrick, zur Leitplanke, zum Fetisch und Liebesobjekt.
Im Hintergrund erkundete zur gleichen Zeit eine weitere Akteurin die Möglichkeit, mit dem gleichen Tuch als lebendes Standbild zu überzeugen. Tatsächlich war die von ihr erfundene poetische Plastik von großem ästhetischem Reiz, was besonders bei entsprechender farbiger Ausleuchtung zur Geltung kam.
Im nächsten Bild wurden Verhüllungen durchgespielt. Jeweils in Zweier-Konstellationen präsentierten die Studentinnen Beziehungsmuster, die in vielerlei phantasievollen "Hüllen" und entsprechend vorgeformten, eingeschränkten Bewegungen zum Ausdruck kamen.
Geometrische Gestaltungen in der Manier Oskar Schlemmers machten dabei den Auftakt. Erotomanische Kreisbewegungen zweier - durch Konventionen und Ganzkörper-Moralhüllen - "Verklemmter" bildeten den Höhepunkt dieses Teils.
Als Betrachter musste man unwillkürlich mitleidig an junge, liebeshungrige Muslime denken, denen traditionell - zumindest offiziell - alles "Zugreifen" verboten ist. Aber das ist natürlich reine Interpretation.
Im dritten Bild erlebte man einen wilden Reigen losgelassener Naturgeister und Elfen. Mit luftigen - in allen Regenbogenfarben schillernden - Sommerkleidern bekleidet, wirbelten die sieben "Grazien" in Sprüngen und Figuren über die Bühne, dass es eine Lust war.
Seltsam ist allerdings, dass sich davon gar kein Bild bleibend im Gedächtnis einnistete. Offenbar ist rasche Bewegung zugleich die Vergänglichste der Formen.
Zum Höhepunkt der Performance im vierten Bild zog der Vorhang im Hintergrund der Bühne ein Bühnenbild frei, das mit drei verschiedenen großen Öffnungen den Kopf, den Rumpf und die beweglichen Beine je einer dahinter stehenden Akteurin freigab. Der Kopf teilte Reflektionen über die Differenzen zwischen Sprache und Körpersprache, Leben und Tanz mit.
Hinter Worten könne man sich leichter verstecken als man mit dem Körper lügen könne. Darauf lief es hinaus. Derweil zeigte der ausgeschnittene Oberkörper ebenso wie das Beinpaar allerlei Variationen.
Im weiten Bühnenraum davor zeigten währenddessen weitere Akteurinnen sportlich knapp bekleidet , was bleibt, wenn die Hüllen abgelegt sind. In der - lediglich simulierten - Nacktheit sei am weitaus meisten zu entdecken. Die menschliche Fülle liege weit unter der Hülle.
Die Aufführung erwies sich als sehr phantasiereich und vielschichtig erarbeitet. Es machte großen Spaß, die Ergebnisse der hoch kreativen Studentinnen auf der Bühne präsentiert zu bekommen.
Von herkömmlichen Cheerleader- und Karnevalstanzgruppen war das zum Glück weit entfernt. Mehr davon!
Jürgen Neitzel
Text 5600 groß anzeigenwww.marburgnews.de