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Warten auf Wulff


Bundespräsident besuchte Marburg

15.04.2011 (fjh)
Ich habe mich in Schale geworfen. An meinem besten Anzug steckt das Kreuz, das Bundespräsident Horst Köhler mir 2005 verliehen hat. Erwartungsvoll überquere ich mit meiner Begleiterin Elisabeth Böttcher die Kreuzung vor der Elisabethkirche.
Auf dem Gehsteig entlang der Elisabethstraße stehen kleine Trauben von Menschen. Darunter sind auch einige Polizisten in Uniform. Neben der Treppe hinab zum Kirchenportal wurde ein provisorisches Regendach errichtet.
Rainer Kieselbach kommt mir entgegen. Freundlich streckt er mir die Hand hin.
Vor der gotischen Kirche kümmert er sich um die Akkreditierung der örtlichen Medien. Als Pressesprecher der Universitätsstadt Marburg kennt er die Journalisten vor Ort.
Auch wir erhalten ein Presseschild zum Anstecken ans Revers sowie ein Armband. Es hängt locker ums Handgelenk, lässt sich aber nicht einfach öffnen und schließen.
Es ist gerade 18.30 Uhr. Bundespräsident Christian Wulff wird für 19.20 Uhr an der Elisabethkirche erwartet.
Während wir – wie alle anderen auch – warten, sprechen uns Leute an. Im Gegensatz zu uns haben die meisten keine Akkreditierung.
Von oben auf der Balustrade richtet sich eine Kamera auf die wartende Menge. Ein Mann in Zivil hat dort Stellung bezogen.
"Scharfschützen", meint jemand neben mir. Er richtet seinen Fotoapparat nach oben, um den Mann dort seinerseits aufzunehmen.
Ein Auto fährt vor. Vom Firmaneiplatz aus ist es um die Kirche herumgefahren, um neben der Treppe anzuhalten. Leute steigen aus und gehen zum Kirchenportal.
Wir beginnen, zu frösteln. Die strahlende Sonne hat sich hinter grauen Wolken verkrochen.
Der evangelische Landesbischof Prof. Dr. Martin Hein steht bereits unten vor dem Eingang, wo er den Bundespräsidenten begrüßen wird. Direkt neben der Treppe hat ein Fernsehteam des Hessischen Rundfunks (HR) eine Kamera aufgebaut.
"Nach GPS voraussichtliche Ankunft um 18.24 Uhr", ruft einer vom Fernsehtteam. Vermutlich sitzt ein Kollege von ihm im Pressebus, der in der Escorte des Bundespräsidenten mitfährt. Den Weg von der Elisabethkirche zum Schloss werden auch wir in diesem Tross zurücklegen.
Die Wartezeit vertreiben sich einige Presseleute mit Interviews. Junge Leute vom Campus-TV und eine Kollegin der Nachrichtenagentur DDP-ADN befragen die Umstehenden nach ihren Einstellungen zu Wulff und seiner Amtsführung.
Auch ich werde interviewt. Meinen Einwurf, dass ich selbst Berichterstatter sei, wischen sie vom Tisch. Also beantworte ich bereitwillig ihre Fragen.
Als Ministerpräsident von Niedersachsen hatte Wulf gemeinsam mit seiner Sozialministerin Ursula von der Leyen dort das Blindengeld abgeschafft. Erst ein Volksbegehren hatte seine Wiedereinführung erzwungen.
Ich hoffe, dass er sich als Bundespräsident im Umgang mit Behinderten ein Vorbild an seinem Amtsvorgänger nehmen wird. Angesichts seiner blinden Tochter Ulrike, die an der Carl-Strehl-Schule (CSS) in Marburg ihr Abitur gemacht hat, bewies Köhler im Umgang mit Behinderten nicht nur großes Interesse, sondern auch viel Einfühlungsvermögen.
Plötzlich kommt Bewegung in die Menge. Motorräder fahren vor. Dahinter hält die Limousine des Bundespräsidenten. Erwartungsvoll recken alle die Hälse.
Meine Begleiterin geht zur Seite, um bessere Bilder machen zu können. Ich horche auf die kurzen Wortwechsel, die Wulff vor der Kirche mit wartenden führt.
Autogramme werden gewünscht. Wulff wiederum erkundigt sich knapp nach den Wartenden und den Beweggründen für ihre Anwesenheit. Dann geht er durch das Hauptportal hinein in die Elisabethkirche.
Viel habe ich nicht hören können. Nun aber bemerke ich die Unruhe, die in die Menge der Wartenden kommt.
Das Absperrband wird hochgehoben. Ein Polizeibeamter geleitet uns zum nördlichen Seiteneingang der Kirche.
Auf dem Weg dorthin erklärt er, dass er Pressesprecher der Wiesbadener Polizei ist. Er betreut die Journalisten während des Besuchsprogramms.
"Also Kollege", sage ich. Dann erreichen wir die Treppe vor dem Nordportal der Elisabethkirche. Vorsichtig betreten wir den dunklen Raum.
Laute Orgelmusik dröhnt durch die Kirche. Offenbar will der Organist die gewaltige Macht seines Instruments gut hörbar vorführen. Als die bombastische Musik nach wenigen Minuten ausklingt, nähert sich der Tross der "hohen Besucher" der Statue der Heiligen Elisabeth gleich neben dem Nordportal.
Sehr knapp erklärt ein Kirchenführer dem Bundespräsidenten und seinen Begleitern die Ikonografie dieser Skulptur. Durch diese Verkürzung finde ich seine Aussagen nicht mehr besonders passend. Aber das ist vermutlich der knappen Zeitplanung des Besichtigungsprogramms geschuldet.
Als die Staatsgäste in den hinteren Teil der Kirche mit der Grabkammer eingelassen werden, geleitet man die Journalisten wieder nach draußen. Vor der Kirche gebe es noch Gelegenheit für kurze Statements, heißt es.
An einer Reihe von Autos vorbei gehen wir wieder zum Hauptportal. Fröstelnd warten wir dort darauf, dass sich das Tor erneut öffnet und Wulff wieder herauskommt.
Vielleicht drei Minuten stehen die Pressevertreter neben der Treppe, bis jemand ankündigt, dass der Pressebus nun abfahren wird. Anderenfalls käme er nicht mehr vor der Escorte hinauf zum Schloss.
Eilig steigen wir ein. Gleich hinter dem Fahrersitz nehme ich Platz.
Etwa acht oder neun Kollegen folgen. Auch der Wiesbadener Polizeisprecher fährt mit im Bus.
"Wie war denn das heute früh mit dem Eierwurf", frage ich in die Runde. Im Radio hatte ich bereits gehört, dass auf dem Wiesbadener Schlossplatz jemand mit Eiern nach dem Bundespräsidenten geworfen hatte.
"Das war um 13.28 Uhr", berichtet ein Kollege. "Ich stand zehn Meter daneben. Der Eierwerfer hat über einen Wagen hinweggeworfen."
In diesem Moment werden wir unterbrochen. Vorsichtig steige ich aus dem hohen Bus heraus, um danach in einen kleinen VW Bus hineinzuklettern.
Den Weg zum Schloss hätte der große Bus nicht bewältigen können. Für die steile und enge Strecke vom Wilhelmsplatz bis hinauf zum Landgrafenschloss benutzen die Medienvertreter deshalb den Kleinbus.
"Da steht Martin Ahlich", sagt jemand. Unmittelbar neben der Absperrung hält unser VW Bus an.
Offenbar ist der Marburger Polizeisprecher für die Akkreditierung der Journalisten am Schloss zuständig. Wir aber kommen mit unseren Armbändern und Namensschildern unkontrolliert vorbei.
Über den weitaus leeren Zugang bewegt sich die kleine Gruppe der Journalisten zum Schlosshof. Über die kleine Treppe dort begibt sie sich in die Eingangshalle. Hier wird Wulff sich ins Goldene Buch der Stadt Marburg eintragen.
Doch es dauert, bis er kommt. So schauen wir schon einmal hinauf in den Rittersaal, wo das abschließende Bankett stattfinden soll. Aber Warten lautet auch dort die Devise.
Dicht gedrängt stehen die Menschen in dem großen Saal. Lange Reihen festlich gedeckter Tische verheißen das bevorstehende Festmahl.
Essensdüfte kitzeln angenehm meine Nase. Jemand fragt mich, ob der Bundespräsident jetzt komme.
"Es kann sich nur noch um wenige Minuten handeln", erkläre ich. "Wir sind ihm schon mal vorausgefahren."
Mit einem Glas in der Hand harre ich ungeduldig der weiteren Ereignisse. Allmählich werden meine Füße vom vielen Stehen müde. Außer im Bus habe ich seit 18.15 Uhr nicht mehr gesessen.
Inzwischen ist es schon 20.40 Uhr. Angekündigt war das Bankett im Schloss für 20 Uhr.
Endlich verstummt das laute Gemurmel. Mehrere Leute laufen direkt an mir vorbei.
An einem Tisch am Kopfende nehmen sie Platz. Neben dem Bundespräsidenten sitzt dort nun der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier.
Als sie Getränke eingeschenkt bekommen, werde ich etwas ungeduldig. Für uns sind keine Plätze reserviert. Stehend verfolgen wir das weitere Geschehen.
Als Erster ergreift Bouffier das Wort. Neben dem Oberbürgermeister Egon Vaupel und der Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause begrüßt er auch das hessische Kabinett mit seinen Ministern, den Landtagspräsidenten Norbert Kartmann und die Landtagsabgeordneten sowie weitere Gäste. Besonders hervor hebt er den Turner Fabian Hambüchen und den Marburger Ehrenbürger Prof. Dr. Reinfried Pohl.
Sie alle werden nun also von meinen Steuergeldern gemästet, denke ich. Sie essen und trinken in aller Ruhe, während ich draußen bleiben muss. Nur als Hofberichterstatter bin ich hier willkommen!
Stolz beschwört Bouffier die Bedeutung Marburgs und seines Schlosses sowie die wichtige Rolle des Landes Hessen für Deutschland. Seine Wirtschaftskraft räume ihm einen ganz besonderen Rang ein, liege doch das Pro-Kopf-Einkommen der Hessen höher als das der Vereinigten Staaten von Amerika (USA).
Solche Reden wird er wohl öfter halten, denke ich im Stillen. Wenigstens redet er nicht zu lange, weil er Rücksicht auf den Hunger der geladenen Gäste nehmen will.
Bevor Bouffier zum Schluss kommt, nimmt er kurz Bezug auf den Vorfall am Mittag in Wiesbaden. Er bezeichnet den Eierwurf als eine "besondere Begegnung, die den Besuch zwar überschattet, aber nicht unterbrochen hat".
Eine große Heldentat war diese Aktion sicherlich nicht, denke ich. Grund zur Kritik gerade an Bouffier gäbe es allerdings genug, wenngleich man sie nur argumentativ vortragen sollte.
Vor dem Karl-Duisberg-Haus direkt neben dem Schloss habe er mit Studierenden gesprochen, berichtet Wulff in seiner anschließenden Rede. Unter ihnen sei auch ein chinesischer Gaststudent gewesen. "Er wird diesen Tag wohl in Erinnerung behalten", vermutete der Bundespräsident. Schließlich könne man in seinem Heimatland wohl nicht "bis auf Wurfdistanz" an wichtige Repräsentanten des Staates herankommen.
Das Wort "Wurfdistanz" erheitert mich. Offenbar hat der Präsident den Vorfall eher gelassen hingenommen. Ich nehme ihm ab, dass er sich ernsthaft darum bemüht, dem Volk möglichst nahe zu kommen.
Die meiste Zeit allerdings sei er mit auswärtigen Angelegenheiten beschäftigt, berichtet der Bundespräsident. 60 Prozent seiner Arbeit bestehe aus Auslandsreisen oder der Akkreditierung von Botschaftern und anderen diplomatischen Pflichten.
Es wirkt, als hätte er das vor Amtsantritt selber nicht gewusst. Jedenfalls scheint es ihm ein Anliegen zu sein, seine Arbeit anschaulich zu vermitteln.
Seinen Antrittsbesuch im Bundesland Hessen beschließt der Bundespräsident mit dem Bankett im Fürstensaal des Marburger Landgrafenschlosses. Er freue sich, nachher von Tisch zu Tisch gehen zu dürfen und die Anregungen der Menschen dabei aufzunehmen, kündigt er am Ende seiner Rede an.
Mit dem Schlussapplaus werden wir aus dem Saal hinauskomplimentiert. Die Großkopfeten bleiben nun unter sich. Volksnähe sähe für mich anders aus.
Allerdings war es die Hessische Staatskanzlei, die zu dem Bankett ins Schloss eingeladen hatte. Bei ihr scheint der Respekt vor der Presse als "Vierte Gewalt" noch nicht angekommen zu sein.
Sonst hätte sie uns wenigstens hier im Schloss nicht stehen lassen, meine ich. Ohnehin musste ich an diesem Tag sehr viel herumstehen für ziemlich wenig Ergebnis!
Franz-Josef Hanke
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