Logo: marburgnewsMobile Marburgnews

Zum Menü

Bundesweite Struktur


Alternatives Wohnen im Mietshäuser-Syndikat

10.04.2011 (jnl)
"Wir wollen das Menschenrecht auf Wohnen ohne Miethaie verwirklichen", erklärt Wolfgang Schuch vom Syndikatshaus Ketzerbach. Er und weitere Marburger Aktivisten haben die Mitgliederversammlung des bundesweiten Mietshäuser-Syndikats (MHS) am Samstag (9. April) im G-Werk organisiert.
Das MHS war bei seiner Gründung 1992 in Freiburg ein Solidarfonds und Verein zur Förderung des Wohnens in Selbstorganisation. Seit 1996 hat es die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränktr Haftung (GmbH). Damit könne man sich am besten rechtlich absichern und zugleich expandieren, sagen die Aktiven.
In den 15 Jahren seither haben sich insgesamt 71 Hausprojekte und Projektinitiativen dem mittlerweile Deutschland weiten Verbund angeschlossen. Hinter Freiburg im Breisgau, Berlin und Tübingen ist Marburg zum viertgrößten Knotenpunkt des Syndikats geworden.
Drei Bewohner-Hausgemeinschaften in der Stadt an der Lahn haben inzwischen ihr Haus durch Kauf selbst übernommen. Zwei weitere Mitglieds-Projekte - darunter das "Bettenhaus" im alten Kliniksviertel - kämpfen noch darum, ihre Häuser erwerben zu können.
Das Bettenhaus ist seit 26 Jahren ein selbstverwaltetes Studentenwohnheim im Besitz des Landes Hessen. Es bietet 11 Wohngemeinschaften mit 60 Menschen Wohnung und beherbergt zusätzlich eine Kindertagesstätte.
Seit die CDU in Hessen regiert, ist ein erheblicher "Sanierungsstau" im Gebäude aufgelaufen, sagen Daniel Krambrock und Christian Schmidt vom Hausverein. Durch die Einfachverglasung aus den späten 50er Jahren etwa entständen horrende Heizkosten.
Damit habe das -für die Bauunterhaltung zuständige - Hessische Bodenmanagement seine Vertragspflichten verletzt, argumentieren sie. Die Verschleppung notwendiger Bauerhaltungsmaßnahmen müsse mit rund einer Million Euro Landesgeld für das Zukunftskonzept gutgemacht werden.
Über einen Erbbaurechtsvertrag über 99 Jahre Laufzeit konnte man sich bereits verständigen. Die Landesregierung möchte das Bettenhaus loswerden, aber bisher nicht für die Sanierung zahlen. Die Philipps-Universität hat eine Zusage über 300.000 Euro gegeben.
Die Stadt Marburg hat das für den Umbau des Bahnhofsareals eingerichtete Sanierungsgebiet um den Bereich des Bettenhauses erweitert. Die zum Erhalt und Erwerb ihres Hauses entschlossenen Bewohner sehen in der Syndikatsmitgliedschaft ihre Chance. Alles hängt nun ab von den Landesbehörden.
Der Solidarverbund MHS bot am Vormittag bei tollem Sonnenschein im Freiluftbereich des G-Werks informelle Gespräche und Diskussionen in kleinem Kreis. Am Nachmittag tagte im Trauma-Saal die Mitgliederversammlung mit über 200 Mitgliedern aus ganz Deutschland.
Sieben bereits durchgesetzte, neue Projekte - darunter das Wohnprojekt "Sonnendeck Marburg" im Südviertel - stellten sich vor. Das Syndikat lebt stark von Vernetzung und Wissenstransfer zwischen den Projekten.
Erst einmal in 15 Jahren hat es das Scheitern eines bereits verwirklichten Mitglieds-Projekts gegeben. Das zunächst unbemerkte Fehlverhalten eines Architekten führte in Neustadt an der Weinstraße zum Konkurs der Haus-GmbH. Man hat daraus gelernt und strengere Regeln eingeführt.
Da jedes Projekt eine eigene - rechtlich abgeschottete - GmbH darstellt, kann das über 49 Prozent Einlagen beteiligte Gesamtprojekt MHS nicht ökonomisch beschädigt werden. Mittlerweile gibt es unter den bundesweit rund 3.000 Mitgliedern eigene Rechtsanwälte, Ingenieure und Mediatoren.
Das Aufbringen des Geldes zum Erwerb und Sanierungserhalt der Häuser geschieht - soweit möglich - ohne Beteiligung von Banken. Seit der Finanzwirtschaftskrise 2009 hat der Glaubwürdigkeitsverlust der Banken zu einer starken Zunahme der - mit drei Prozent verzinsten - "Direktkredite" an die Hausprojekte geführt. Das Wohnprojekt Sonnendeck etwa hat sein Haus zu 100 Prozent ohne Banken finanziert.
Das "Mietshäuser Syndikat" ist ein erfolgreiches Modell solidarischer Ökonomie, um Wohnraum in Selbstverwaltung zu schaffen und zu sichern. Aus dem Verrat der "alten" Genossenschaftsbewegung an ihren Grundideen hat man dazugelernt und - wie man hofft - bessere Sicherungen eingezogen.
Zu ganz normalen kapitalistischen Unternehmen - wie viele Wohnungsbau-Genossenschaften oder Spar- und Darlehenskassen - will man auf keinen Fall werden. In Marburg überlegt man derzeit, wegen des großen Zustroms an Projekten und Interessenten eine eigene Regionalkoordination zu gründen.
Jürgen Neitzel
Text 5490 groß anzeigen

www.marburgnews.de

© 2017 by fjh-Journalistenbüro, D-35037 Marburg