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Kein Gott


Kahl stellte Dokumentarfilm "Das kreative Universum" vor

07.04.2011 (jnl)
Sind Naturwissenschaften und Spiritualität notwendig zwei sich ausschließende Pole im Leben? Dieser Frage geht der Dokumentarfilm "Das kreative Universum" von Rüdiger Sünner nach.
Dr. Dr. Joachim Kahl hatte die Vorstellung des Films am Mittwoch (6. April) im "Arthaus-Kino Palette" am Steinweg initiiert. Nach dem 83-minütigen audiovisuellen Essay leitete er eine Diskussion mit den rund 70 Besuchern.
Seinen Ausgangspunkt nahm Sünner bei den Bildern vom New Yorker Terroranschlag 2001. Haben etwa die Moslems mit dem Vorwurf recht, die Menschen des Westens seien schlimme Materialisten und gottlos sowieso, fragte er.
In Wirklichkeit aber sei der Westen tief gespalten zwischen Religiösen und Religionsfernen, argumentierte Sünner. Besonders im Bereich der Wissenschaftler und Gebildeten sei Religionsskepsis weit verbreitet. Gebe es daher im Westen nur mehr wenig Spiritualität?
Er wolle untersuchen, wie weit Spiritualität und Wissenschaft miteinander im Dialog ständen und vereinbar seien, benannte Sünner das Anliegen seines Films. Zahlreiche mehr oder minder prominente Forscher und Professoren aus Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) wurden von ihm dazu vor der Kamera interviewt.
Der Komplexsystem-Forscher und Biologe Stuart Kauffman etwa trug die Auffassung vor, menschliche Wesen bräuchten nicht trockene Aufzählungen geprüfter Fakten, sondern eher etwas, das sie auch lieben könnten.
Thesen aus der religiösen Fundamentalistenecke wie das sogenannte "Intelligent Design" wurden indes klar zurückgewiesen. Diese weltfremde Vorstellung eines allmächtigen Ingenieur-Gottes sei "nicht etwa schlechte Wissenschaft, sondern überhaupt keine und darüberhinaus schlechte Theologie".
Alle Strukturen des Lebens sind evolutionär entstanden. Aber keineswegs reiche der darwinistische Ansatz aus. Denn jenseits wirksamer genetischer Überlebensvorteile gebe es reichlich "überflüssige" Schönheit und Vielfalt in den Pflanzen und Tieren.
Die Grundannahme früherer Zeiten, dass es einen materialistischen Determinismus gebe, bezeichneten mehrere Forscher als "längst überholt". Das Materielle sei im Lichte der Quantenphysik kein "fester Boden" mehr. "Felder" und Energien seien an dessen Stelle getreten.
Der bekannte Physiker und Erkenntnistheoretiker Hans-Peter Dürr plädierte dennoch für die "Apfelpflück-Sprache", denn die Menschen seien existentiell auf "Greifbares" angewiesen. Ein wenig peinlich berührte ein angloamerikanischer Wissenschaftler, der die Menschen pathetisch beschrieb als "aus Sternenstaub gemacht", der aus einem "Selbstopfer der Sonnen" hervorgegangen sei.
Der Biologe Stephan Harding plädierte für eine Respiritualisierung der Geografie. Das meinte, dass Menschen Orte wieder als von "Naturgeistern" bewohnt imaginieren sollten, um dadurch schonender mit der Natur umzugehen.
Neben der - aus zahlreichen Interviewschnipseln montierten - Argumentation bot der Film vor allem auch viele schöne Bilder. Ästhetisierte Natur in Form von Vogelschwärmen und Strömungsbildern diente dazu, Sünners These von der Notwendigkeit größerer Spiritualität zu unterstreichen.
Kulminationspunkt des Films war die These, ob man nicht das gesamte, durch Autopoiesis "kreative Universum" - praktisch pantheistisch - als "Gott" begreifen sollte. Im Abspann dokumentierte sich darüber hinaus die Nähe des Autorenfilmers zur Anthroposophie.
In seiner Zusammenfassung bat Kahl die Besucher, auf die beliebte falsche Synonymsetzung von Spiritualität und Religiosität nicht hereinzufallen. Man könne sehr wohl spirituell sein, ohne an einen Gott zu glauben. In der Tradition des Philosophen Baruch Spinoza zitierte er Johann Wolfgang von Goethe: "Das Erforschbare erforschen, das Unerforschbare durchaus verehren!"
Kahls nachvollziehbarer Haupteinwand gegen Sünner war, dass die finstere, brutale Seite der Natur im Film überhaupt nicht auftauche. Das Fressen und Gefressenwerden sei keineswegs schrecklich, meinte dagegen eine Diskussionsteilnehmerin. Vielmehr sei das einfach ein notwendiger Teil der ökologischen Regulierung in der belebten Natur. Ein Anderer wandte ein, das bedeute die Opferung des Individuums.
Ein erdgeschichtlich versierter Diskussionsteilnehmer rechnete hingegen vor: 4,6 Milliarden Jahre gebe es den Planeten Erde. Seit 3,6 Milliarden Jahren habe sich Leben darauf entwickelt. Gefressen Werden aber gebe es auf der Erde definitiv erst seit rund 600 Millionen Jahren.
Der emeritierte Psychologieprofessor Hans Schauer lehnte den Film tendenziell als "propagandaFide" religiöse Missionierung ab.
Jürgen Neitzel
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