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Gekonnt gesprungen


Renegade Hip-Hop beim KUSS Festival

02.04.2011 (jnl)
Was entsteht, wenn fünf Breakdancer auf vier Modern-Dance-Leute treffen? Am Freitag (1. April) zeigte das Hip-Hop-Theatre Renegade beim Hessischen Landestheater Marburg in der Stadthalle, wie eine Integration von athletischer Jugendkultur in ein zeitgenössisches Tanztheater aussehen könnte.
Ausgangspunkt der Produktion "Irgendwo" waren zehn robuste, ein bis drei Meter große Holzquader. Im Hintergrund des völlig freigeräumten Bühnenraums formten diese Kästen eine Treppenstruktur.
Nach Art des Modern Dance nahmen nun einige der Tänzer die Treppe in Besitz, in dem sie sich aus einer sitzenden Position von Stufe zu Stufe emporwanden.
"Aha", dachte man als Bildungsbürger, die sprichwörtliche Karriereleiter wird tänzerisch zum Thema gemacht. Zu diesem frühen Zeitpunkt konnte man noch annehmen, es gäbe im Bühnengeschehen eine narrative Intention.
Schon bald verflüchtigte sich diese Hypothese allerdings. Abgesehen von kurzzeitigen Resonanzen einzelner Tänzer miteinander ergab sich im Bühnengeschehen nahezu kein Zusammenhang.
Die Blöcke wurden in stetigem Tun jeweils umgeworfen, umgruppiert und an anderer Stelle neu aufgerichtet. Über diese Hindernisse hinweg und manchmal auf ihnen kreiselnde Figuren tanzend, bewegten sich die neun Tänzer. Einige wenige, vereinzelte Episoden kamen darin vor.
Ein Tänzer zog einen Rock über und ließ aus seiner mitgeführten Sporttasche eine Art Trockeneisnebel aufsteigen. Die Anderen zeigten kaum Reaktionen darauf. Ein paar mal gab es kleinere getanzte Flirts zwischen Frau und Mann.
Die drei Tänzerinnen fielen - außer durch energievolle Gelenkigkeit - besonders durch eine Marotte auf: Zeitweise zogen sie in rascher Aufeinanderfolge ihre Westen aus und an und wieder aus und an. War das ein stummer Protest gegen die Regisseurin Malou Airaudo?
Wer darin eine sinnvolle Botschaft entschlüsseln mochte, dem gefiel das möglicherweise auch. Wie weit man - bei 80 Minuten dynamisch bewegtem "Informel" mit Einsprengseln synchronisierter Bewegungsmuster - tatsächlich von einer durchgestalteten Choreographie sprechen kann, steht dahin. Von einem erzählerischen Tanztheater à la Pina Bausch war das extrem weit entfernt.
Exzellent und geschmackvoll zusammengestellt war allerdings die eingespielte Musik. Sie reichte von lautstark rhythmischen bis zu entspannt ruhigen Spannungsbögen. Ein jazzig interpretierter "Nachmittag eines Fauns" von Claude Debussy war darin ebenso vertreten wie der Cool Jazz eines Miles Davis.
Wer nur in die ausverkaufte halbierte Stadthalle gekommen war, um schöne, kraftvolle junge Tänzer und Tänzerinnen zu bewundern, kam gewiss auf seine Kosten. Besonders die fünf Breakdancer zeigten immer mal wieder kühne Kostproben ihres Könnens. Nur integrative, erzählerische Zusammenhänge stellten ihre ausgeprägt individuellen Einfälle der Raumerkundung leider nicht her.
Die beiden Zugaben zeigten im Ansatz auf, welche Potenziale mit mehr Regie-Zugriff und Kunst-Wollen hätten gehoben werden können. In einem spielerischen Zuwerfen des Brennpunkts unter drei der besten Tänzer zeigte jeder von ihnen witzige Solo-Kabinettstückchen.
Der mit Abstand athletischste Breakdancer - im gelben Sweatshirt - hüpfte auf einem Arm balancierend über die ganze Breite der Bühne und zurück. Da staunte man nur noch!
Man wünschte sich, diese hoch trainierte Truppe käme das nächste mal mit einem ausgereiften Erzähltheater voller bildkräftiger Regie-Leistung. Erst dann würde man sehen, was im Sinne von getanztem Theater wirklich in diesen Tänzern steckt.
Diese - in der größten Spielstätte des Hessischen Landestheaters auftretende - Produktion im Rahmenprogramm der 16. Hessischen Kinder- und Jugendtheaterwoche ging vor allem im rein Sportlich-Athletischen auf. Ob der beträchtliche Applaus am Ende wirkliche Begeisterung über das Getanzte oder über das Sportliche aussagte, bleibt offen.
Jürgen Neitzel
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