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Demokratische Entwicklung


Gauck beschrieb Mechanismen der DDR

01.04.2011 (fjh)
 "Jemanden zum Untertanen zu erziehen, dauert ungefähr die gleiche Zeit, wie man braucht, um ein mündiger Bürger zu werden. Mit dieser Aussage erklärte
Dr. Joachim Gauck am Donnerstag (31. März) die – nach wie vor unterschiedlichen – politischen Verhaltensweisen in Ost- und Westdeutschland. Der ehemalige
Leiter des Bundesamts für die Unterlagen der Staatssicherheit (BStU) – im Volksmund nach seinem Namen auch nur kurz "Gauck-Behörde" genannt – sprach in
der vollen Stadthalle auf der Genossenversammlung der Volksbank Mittelhessen.
Anhand zweier fingierter Personen zeigte Gauck den Anpassungsdruck auf, unter dem die Menschen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) standen.
Wollte jemand sein Kind zur Kritik an den autoritären Strukturen des Staats erziehen, so riskierte er Strafen für sich selbst und Nachteile für sein Kind.
Damit die Kleinen keine Witze über Erich Honecker oder die herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) aufschnappen und weitertragen konnten,
sprachen die Eltern nur noch konspirativ miteinander. Nach und nach bildete sich so eine Spaltung in die offizielle Sprache gegenüber Nachbarn, Vorgesetzten
"Jemanden zum Untertanen zu erziehen, dauert ungefähr die gleiche Zeit, wie man braucht, um ein mündiger Bürger zu werden. Mit dieser Aussage erklärte Dr. Joachim Gauck am Donnerstag (31. März) die – nach wie vor unterschiedlichen – politischen Verhaltensweisen in Ost- und Westdeutschland. Der ehemalige Leiter des Bundesamts für die Unterlagen der Staatssicherheit (BStU) – im Volksmund nach seinem Namen auch nur kurz "Gauck-Behörde" genannt – sprach in der vollen Stadthalle auf der Genossenversammlung der Volksbank Mittelhessen.
Anhand zweier fingierter Personen zeigte Gauck den Anpassungsdruck auf, unter dem die Menschen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) standen. Wollte jemand sein Kind zur Kritik an den autoritären Strukturen des Staats erziehen, so riskierte er Strafen für sich selbst und Nachteile für sein Kind.
Damit die Kleinen keine Witze über Erich Honecker oder die herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) aufschnappen und weitertragen konnten, sprachen die Eltern nur noch konspirativ miteinander. Nach und nach bildete sich so eine Spaltung in die offizielle Sprache gegenüber Nachbarn, Vorgesetzten und Behörden sowie andere Ausdrucksweisen im persönlichen Umgang mit vertrauenswürdigen Angehörigen und Freunden aus.
War der junge Mann wegen seiner Verpflichtung zur Nationalen Volksarmee (NVA) erfolgreich an einen Studienplatz und später einen guten Abschluss gelangt, so hing jede weitere Karriere unbedingt von einer Mitgliedschaft in der SED ab. Wer angab, er habe sich bislang "noch nicht reif für diese Entscheidung" gefühlt, den hielt man auch nicht für reif genug, um Führungspositionen auszuüben. Trotz bester Studienabschlüsse wurden diejenigen von allen Führungspositionen ausgeschlossen, die sich einer Mitgliedschaft in der "Partei" verweigerten.
Neben der fiktiven Marie und ihrem Freund Paul berichtete Gauck über solche Erfahrungen auch aus seiner eigenen Familie. Sein Bruder Eckart habe nicht als "Chief" auf einem Schiff arbeiten dürfen, obwohl er den dafür nötigen Abschluss als Maschinenbauingenieur mit Bestnote abgelegt hatte.
"Selbst in solchen Beriechen wie Maschinenbau oder Medizin und nicht nur in den Geisteswissenschaften hatte man ohne die Mitgliedschaft in der Partei keine Chance auf eine Karriere", berichtete Gauck. Anschaulich verdeutlichte er dem Publikum, wie der Druck die Menschen zu stillschweigender Zustimmung oder zumindest passivem Mitmachen drängte.Sehr bildhaft und nachvollziehbar verdeutlichte Gauck diese Mechanismen. Mitunter wirkte sein Vortrag beinahe kabarettistisch.
"Im Osten heißt es, die Wessis haben alle Hornhaut an den Ellenbogen", berichtete Gauck. "Ich habe sie daraufhin gefragt: Hab Ihr nicht vielleicht Hornhaut an den Knien?"
War Gaucks Vortrag zu den Mechanismen von Anpassung und Unterordnung sehr eindringlich und bildhaft, so mochten seine Aussagen zu anderen politischen Themen mitunter ausgesprochen unausgereift erscheinen. Wenn er sich beispielsweise darüber freute, dass "Deutschland seit 60 Jahren keine Nachbarn mehr angegriffen" hat, dann mag die Frage erlaubt sein, ob Angriffe auf weit entferntere Staaten moralisch ertretbarer sind.
Letztlich waren Gaucks Ausführungen unbestreitbar hörenswert. Schließlich zeigte er darin Strukturen eines Obrigkeitsstaats auf, die – zumindest in Ansätzen – auch in Westdeutschland zu finden sind.
Franz-Josef Hanke
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