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Anspruch an Auditorium


Science-Slam setzte auf hohes Niveau

24.03.2011 (jnl)
Der dritte Science Slam des Hessischen Landestheaters Marburg am Mittwoch (23. März) glänzte erneut durch prachtvolle Kandidaten und einen tollen Rahmen. Sechs arrivierte Könner auf grundverschiedenen Sachgebieten traten vor ausverkauftem Haus geistreich gegeneinander an.
Vor dem Theatergebäude hatten sich Gewerkschafter aufgebaut, die für ein "Nein" bei der Volksabstimmung zur hessischen "Schuldenbremse" warben. Im Forum gab es Gedränge und vereinzelte kesse Versuche, trotz des proppenvollem Hauses doch noch eine Eintrittskarte zu ergattern. Kein Zweifel: Das Landestheater schickt sich an, zu einem pulsierenden Zentrum gesellschaftlichen Lebens zu werden.
Im Saal empfingen atmosphärische Lounge-Jazzmusik und wissenschaftsaffine Webinhalte auf einer Beamer-Großleinwand inmitten der Bühne die Besucher. Die Moderatorin Dr. Christine Tretow trat in klischee-parodierendem, altmodischem Labor-Forscher-Kostüm mit wohlgesetzten Worten vor das Publikum.
Bevor der eigentliche Slam-Wettbewerb losging, bot sie einen äußerst gehaltvollen Vortrag über das Thema, das die scientifische Öffentlichkeit für einige Wochen bis in den März hinein stark bewegt hatte: das Tricksen und Täuschen des Plagiators und CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg. Ein solches Rahmenprogramm ist - soweit bekannt - bei keinem Science Slam außer in Marburg üblich.
Was es normalerweise an Zeit und Mühen kostet, eine Doktorarbeit zu erstellen, davon mögen Millionen Krawallblatt-Leser und Guttenberg-Fans keinerlei Ahnung haben. Unter den an diesem Abend versammelten Universitätsangehörigen hingegen war die von der "mit summa com laude" promovierten Theaterwissenschaftlerin Tretow formulierte Empörung über den lässigen Umgang mit diesem Betrug sicherlich Konsens.
Bundeskanzlerin Angela Merkel habe mit ihrer Verharmlosung der Causa Guttenberg schlechte Ratgeber gehabt, meinte Tretow. Sie zitierte den Politikwissenschaftler Franz Walther, nach dessen Aussage die Regierungsparteien wegen des Plagiators aus taktischen Gründen "zentrale Werte des Bürgertums, seiner Lebensform und seines Ethos" mit Füßen getreten haben.
Erstmals seit 1968 habe es eine Art massenhaften politischen Aufstands der "scientific community" gegeben, der schließlich zum längst überfälligen Amtsverzicht des Franken führte.
Getragen worden sei dieser Empörungs-Tsunami indes vorwiegend von den Menschen an der Basis des Wissenschaftsbetriebs. Nur wenige Prominente unter den Wissenschaftlern hätten zu dieser Betrugsaffäre von Anfang an in den Medien klare Worte beigesteuert.
Eine bittere Pointe sah Tretow darin, dass ausgerechnet die Spitzenverbände der deutschen Wissenschaftsszene sich lange Zeit sehr abwartend und zynisch lavierend verhalten hätten. Erst als das volle Ausmaß der Plagiate aufgedeckt und die Salami-taktischen Vertuschungsversuche zu Guttenbergs zu einer Belastung für die Wahlchancen der Regierungsparteien bei den Landtagswahlen geworden waren, habe der Politiker mit seinem Rücktritt den Notausgang benutzt.
Zu Guttenberg sei ein Anti-Vorbild. Das Gegenteil von ihm seien die Kandidaten dieses Abends, die allesamt eine ehrliche wissenschaftliche Vita vorzuweisen hätten.
Die Sechs - darunter diesmal drei Geisteswissenschaftler, ein Ökonom, ein Ingenieur und ein Physiker - stellte die Moderatorin humorvoll mit der jeweiligen Forscherlaufbahn vor. Nachdem auch die Publikums-Jury ausgewählt war, ging der eigentliche Wettbewerb los.
Prof. Dr. Michael Stephan aus Marburg durfte als slam-unerfahrener Lokalmatador als Erster loslegen. Mit seinem lockeren Powerpoint-Vortrag über "Innovation und Improvisation – wie die BWL vom Jazz lernen kann" fuhr der Betriebswirt bei der Jury lediglich mittlere Noten ein. Er kam auf 29 Gesamtpunkte.
Die hohe inhaltliche Qualität seines Vortrags hätte eigentlich mehr verdient. Vielleicht war er nicht genügend performativ eingestellt.
Ganz ähnlich erging es dem zweiten Lehrstuhlinhaber im Feld, Prof. Dr. Franz Josef Wetz von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Sein provokativer Vortrag über "Treue ist ein Mangel an Gelegenheit - über Sex und Lüge" verließ sich ebenfalls vorwiegend auf inhaltliche Qualitäten, statt auf darstellerische Finesse zu setzen. Dafür erhielt er 30 Gesamtpunkte.
Zu recht meinte die Moderatorin, dass die Thesen des Philosophen unter den zahlreich anwesenden Paaren wohl einigen Zündstoff für Diskussionen bergen. Der Slam-Beitrag war im übrigen eine Kurzfassung von Forschungen, die im Herbst in Buchform erscheinen werden.
Als dritter Slammer vor der Pause trat der Siegener Doktorand Roland Leikauf an. Als "Oral-History"-Forscher befasste sich der Magister der Geschichtswissenschaften mit "Vietnam als Kriegserinnerung: Rambo, Tour of Duty, The Things They Carried, Internet".
Zahlreiche Vietnam-Veteranen verarbeiten ihre Kriegserinnerungen in eigenen Websites. Von den skurrilen und ernsten Seiten seiner Forschung handelte Leikaufs Vortrag. Da er auf Humor setzte und locker das Zeitlimit von 14 Minuten einhielt, erzielte er 35 Punkte.
Nach der Pause folgte der fachlich sicher schwierigste Slam-Vortrag. Der Astrophysiker Dr. Sebastian Hess aus Frankfurt am Main befasste sich mit der Fragestellung "Warum man Schwarze Löcher sehen kann". Für seinen - mit zahlreichen Illustrationen, Zitaten und Begriffserläuterungen unterlegten - Vortrag erhielt er bemerkenswerte 42 Wertungspunkte.
Auf weniger Gegenliebe stieß der Darmstädter Historiker Fabian Oberfahrenhorst, der nur 33 Zähler verbuchen konnte. Angelehnt an Quellen zur Diplomatenreise Oswalds von Wolkenstein im 15. Jahrhundert, stellte er die erstaunlich zahlreichen Reiseaktivitäten im Mittelalter vor.
Meistens handelte es sich um Pilgerfahrten. Die Kreuzzüge hingegen erläuterte er nachvollziehbar als religiös verbrämte Wirtschaftskriege, um die lukrativen Orte des Fernhandels nach Asien in den eigenen Besitz zu bekommen. Doch obwohl sich der zweimalige Sieger des Darmstädter Science Slams und Teilnehmer der ersten bundesweiten Meisterschaft gehörig ins Zeug legte, um durch interaktive Elemente und Humor das Publikum für sich zu gewinnen, zeigten ihm die Juroren die kalte Schulter.
Der Braunschweiger Maschinenbauingenieur Martin Buchholz kam als letzter. Er sah und siegte überragend mit 49 von 51 möglichen Punkten. Sein Beitrag hieß "Entropie - Über Kühltürme und die Unumkehrbarkeit der Dinge".
Buchholz vermittelte auf ebenso forsche wie unterhaltsame Art einem fachfremden Publikum den Begriff der Entropie. Wohl weil er dabei ebensoviel Mut wie Geschick bewies, gab ihm das Publikum bei der folgenden humorigen Siegerehrung einen rauschenden Applaus.
Erwähnenswert sind auch die aufwendigen kleinen Intermezzi durch die "reizende Assistentin" Charlotte und den Abakus-schwingenden "Brain". Beide dienten ausschließlich der Optik und der Kurzweil. Liebevoll waren übrigens zu jedem Slam-Kandidaten passende Aphorismen und Musik-Intros ausgewählt worden.
Die Vize-Intendantin des Hessischen Landestheaters als Conferencieuse hätte mit ihren treffsicher formulierten Moderationen ohne Weiteres auch in einer Fernseh-Show erfolgreich "Quote machen" können, obwohl eine Wissenschafts-Show natürlich eher ein Spartenprogramm als Mainstream ist. Vielleicht klopfen der Hessische Rundfunk (HR) oder der ZDF-Theaterkanal ja demnächst an. Mit drei Kameras wurde die Slam-Show ohnehin auch diesmal schon aufgezeichnet.
Der zuletzt zunehmend ausverkaufte Science Slam des Hessischen Landestheaters hat sich beim Publikum voll durchgesetzt. Die nächste Ausgabe wird laut Tretows Ankündigung aber erst im November 2011 stattfinden.
Jürgen Neitzel
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