22.03.2011 (fjh)
Er war Bankräuber, Geldfälscher und Maurer. Mit Ernesto "Che" Guevara hat er über eine Strategie zur Eindämmung der Macht des US-Imperialismus verhandelt. Über seine außergewöhnliche Lebensgeschichte sprach der baskische Anarchist Lucio Urtubia am Montag (21. März) im
Kulturladen KFZ.
Gut 120 Interessierte waren der Einladung des Kulturladens und des Vereins "Kulturelle Aktion Strömungen" gefolgt. Ihnen servierte der vitale 80-Jährige wenig Greifbares.
Auf jede Frage spulte Urtubia lange Reden ab. Seine Übersetzerin hatte Mühe, sie möglichst genau ins Deutsche zu übertragen.
Vor der spanischen Franco-Diktatur war der Anarchist zunächst nach Frankreich geflohen. Dort seien es vor allem Anarchisten gewesen, die den Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht getragen hätten.
Auf einer Baustelle habe er sich verdingt, um sein Brot zu verdienen, berichtete Urtubia. Dort habe er mit katalanischen Kollegen zusammengearbeitet.
Auf ihre Frage nach seiner politischen Richtung habe er ihnen geantwortet, er sei "Kommunist". Mit diesem Wort habe man damals in Spanien alle bezeichnet, die sich in Gegnerschaft zu dem Caudillo Francisco Franco befanden. Doch seine Kollegen auf dem Bau hätten nur gelacht und gesagt: "Du bist Anarchist."
Irgendwann habe man ihn gefragt, ob er einen Mitstreiter bei sich verstecken könne. Vorher habe er aber nicht gewusst, dass er mit "Kiko" den meistgesuchten Anarchisten Spaniens bei sich aufnehmen sollte.
Um nicht nach Spanien ausgeliefert zu werden, wo ihm die Todesstrafe drohte, stellte "Kiko" sich den französischen Behörden. Sein Maschinengewehr und sein Messer habe er seinem Freund Lucio hinterlassen.
Um Geld für die Anwaltskosten und zur Unterstützung der Angehörigen von Verhafteten aufbringen zu können, war Urtubia mit diesem Gewehr dann mit einem Mitstreiter in eine Bank gegangen. "Fünf Minuten später war ich Millionär", berichtete er.
"Ich hatte das Glück, in einer armen Familie aufgewachsen zu sein", erklärte Urtubia. So habe er schon als Kind den Respekt gegenüber dem Eigentum verloren, das fast immer gegen die Armen verwendet werde.
Doch ein Bankraub sei keine gute Strategie, warnte er. Allzu leicht könne es passieren, dass man seine Waffe nicht nur gegen Menschen richte, sondern sie dann auch benutzen müsse. Glücklicherweise sei ihm das erspart geblieben.
Deshalb habe er später eine bessere Möglichkeit entwickelt, sein anarchistisches Netzwerk mit Geld zu versorgen. Als Bauarbeiter hatte er auch Druckereien kennengelernt, wo er Anbauten oder Renovierungen durchführte. Dort habe er sich mit den Druckern angefreundet.
Zunächst hatten sie nur Flugblätter für die Anarchisten gedruckt. Irgendwann hätten sie dann Lohnchecks US-amerikanischer Firmen gefälscht. So sei man leichter an Geld herangekommen als durch Banküberfälle.
Schließlich sei die Idee aufgekommen, gleich US-Dollars zu fälschen. Dadurch wollte Urtubia die Währung der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) schwächen.
Sein Job als Bauarbeiter sei dabei die perfekte Tarnung gewesen. Niemand sei auf die Idee gekommen, dass ein einfacher Maurer nachts der Kopf eines anarchistischen Netzwerks sein könnte.
Zugetraut hätte man diesem kleinen Mann mit gemütlichem Bäuchlein und einer Baskenmütze auf dem Kopf diese Funktion eher nicht. Urtubia, der nach eigenen Angaben nie eine Höhere Schule besucht hat, werde heute zu Vorträgen in Universitäten eingeladen, wo er vor Tausenden junger Leute spreche. Dennoch kamen seine Geschichten – vielleicht auch wegen der eher störenden Übersetzung – am Montagabend selbst in seiner spanischen Originalsprache nicht gerade plastisch herüber.
Franz-Josef Hanke
Text 5377 groß anzeigenwww.marburgnews.de