19.03.2011 (fjh)
Als Kreisbeigeordneter des
Landkreises Marburg-Biedenkopf unter dem SPD-Landrat Prof. Kurt Kliem hat er die Sprengstoff-Altlasten in Stadtallendorf saniert. Als Staatssekretär im Hessischen Umweltministerium hat er unter dem Minister Joschka Fischer die Hanauer Atomfabriken stillgelegt. Als Staatssekretär im Bundesumweltministerium unter dem – ebenfalls grünen – Minister Jürgen Trittin hat er den Atomausstieg mitverhandelt. Als Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe referierte Rainer Baake am Freitag (18. März) über die bundesdeutsche Atompolitik nach der Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima.
Knapp 100 Interessierte waren der Einladung des Grünen Oberbürgermeister-Kandidaten Dr. Franz Kahle ins
Technologie- und Tagungszentrum (TTZ) gefolgt. Der derzeitige Bürgermeister eröffnete die Veranstaltung dann auch mit einer ausführlichen Darstellung seiner kommunalpolitischen Verdienste um die Umwelt.
Klage führte Kahle darüber, dass sein sozialdemokratischer Koalitionspartner in der
Stadt Marburg sich zwar engagiert an der Ausarbeitung der – von der Hessischen Landesregierung massiv bekämpften – Marburger Solarsatzung beteiligt hatte, die Alternative in Form von Windrädern überall im Stadtgebiet aber verhindere. Stolz hingegen verwies der Bürgermeister auf den Bau von Kindertageseinrichtungen im Passivhaus-Standard, was vor zehn Jahren noch niemand für möglich gehalten habe.
Anschließend stellte Kahle den eigentlichen Referenten des Abends als ausgewiesenen Experten in Sachen Atomenergie vor. Diesen Vorschusslorbeeren wurde der ehemalige Marburger am Freitagabend auch durchaus gerecht.
Das – von der Bundesregierung am Dienstag (15. März) verkündete – dreimonatige "Moratorium" bei der Nutzung der Atomenergie nahm Baake sowohl juristisch als auch politisch auseinander. Zum Einen sei die Bundesregierung nach dem Atomgesetz gar nicht berechtigt, Anweisungen zur Stilllegung von Reaktoren zu erteilen. Skeptisch zeigte er sich auch darüber, dass der dafür zuständige Abteilungsleiter im Umweltministerium ein ehemaliger RWE-Manager sei.
Zudem bezweifelte Baake, dass die sieben - nun vom Netz genommenen - Atommeiler wirklich dauerhaft stillgelegt würden. Drei Monate hält der früher selbst für die Atomenergie zuständige Umweltpolitiker für viel zu gering, um eine gründliche Prüfung durchzuführen.
Die Vergabe des Prüfauftrags an die Reaktorsicherheitskommission bewertete er als reine Vorzeigeaktion. Dieses ehrenamtliche Gremium sei gar nicht in der Lage, eine gründliche Prüfung aller deutschen Atomkraftwerke intensiv durchzuführen.
Geklärt werden müssten vorab auch die Kriterien, die bei einer solchen Überprüfung zugrundegelegt werden. Ausführlich erläuterte Baake dabei die mangelnde Festigkeit der Bauten bei einem Flugzeugabsturz, über die kein deutsches AKW in ausreichendem Maße verfüge.
Während seiner Amtszeit habe sein Ministerium Tests mit Piloten und Laien simuliert. Die Ergebnisse habe man aus guten Gründen als "geheim" eingestuft. Doch könne er verraten, dass die simulierten Flüge direkt in den Meiler hinein in erschreckend vielen Fällen zu starken Zerstörungen bei den Anlagen geführt hätten.
Daraufhin habe die Atomwirtschaft das sogenannte "Vernebelungskonzept" vorgestellt, das eine Einhüllung der Atomanlagen in Wolken von Wasserdampf vorsah. Abgesehen von der Unwirksamkeit dieser Strategie gegenüber GPS-Ortungssystemen sei diese Vernebelung auch nur wenige Minuten - in jedem Fall aber nicht mehrere Stunden lang – aufrechtzuerhalten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein Abschießen von mit Fluggästen besetzten Passagiermaschinen unter Verweis auf die Grundrechte der Insassen strikt verboten hatte, könne dieses Vorgehen nicht länger angewandt werden.
Während Bundeskanzlerin Angela Merkel die Atomtechnologie immer wieder als "Brückentechnologie" gerechtfertigt habe, die für die Dauer des Aufbaus regenerativer Technologien unverzichtbar sei, habe ihre Politik eben diese Technologien eher behindert als gefördert. Dabei sei Deutschland hier in den vergangenen Jahren erstaunlich weit vorangekommen.
Bereits zum Ende der laufenden Legislaturperiode könnten regenerative Energieträger nach Baakes Einschätzung die Grundlast der deutschen Stromversorgung zu 100 Prozent gewährleisten. Lediglich während der Spitzen sei dann noch eine Zuschaltung anderer Kraftwerke nötig.
Gerade dafür eigneten sich Kohle- oder Atomkraftwerke aber nicht. Ihre Anschalt- und Abschaltzeiten von bis zu 48 Stunden prädestinierten sie eher für die Grundlastversorgung. Wolle man die Stromerzeugung auf eine moderne und umweltfreundliche Technologie umstellen, so böten sich hier Gaskraftwerke an, die man auf längere Sicht auch mit Biogas betreiben könne.
Für eine Umstellung der zentralisierten Großtechnologien auf die dezentrale Stromversorgung vor Ort sei zwar eine Neuausrichtung der Netze notwendig, doch würde dabei derzeit von völlig übertriebenen Kosten und Netzstrukturen ausgegangen. Die Deutsche Umwelthilfe habe gemeinsam mit Netzbetreibern und Umweltschützern ein Konzept ausgearbeitet, das von allen Beteiligten getragen werde. Dieses Netzkonzept sehe nur wenige große Starkstromleitungen vor, die in vertretbarem Zeitrahmen zu durchaus erschwinglichen Kosten aufgebaut werden könnten.
Mit einem süffisanten Seitenhieb auf die Hessische Landesregierung nahm Baake auch noch einmal Kahles Hinweis auf die Marburger Solarsatzung auf. Was in diesem Regelwerk stehe, das sei in Baden-Württemberg unter einer schwarz-gelben Landesregierung bereits Gesetz. In Hessen jedoch sei es angeblich ein massiver Eingriff in die Freiheit der Hausbesitzer und den Denkmalschutz.
Franz-Josef Hanke
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