18.02.2011 (fjh)
"Wir gehen doch nicht sehenden Auges in eine Falle der Schwarz-Gelben", sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Dr. Thomas Spies. Auf einer Podiumsdiskussion der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di am Donnerstag (17. Februar). Im Wintergarten des Technologie- und Tagungszentrums (TTZ) sorgte das Thema für eine sehr lebhafte Auseinandersetzung. Die Moderation besorgte der Journalist Klaus Bradella vom Hessischen Rundfunk (HR).
Neben Spies saßen die Linken-Fraktionsvorsitzende Janine Wissler und der GEW-Sekretär Rüdiger Bröhling auf dem Podium. Die beiden sorgten mit einem Feuerwerk an Gegenargumenten dafür, dass Befürworter Spies ganz schön ins Schwitzen kam.
Wenn es eng für ihn wurde, redete sich der Inhaber des Direktmandats richtig in Furor. Er und die SPD wollten in dieser Volksabstimmung, die man als Gegner sowieso nur verlieren könne, auf keinen Fall auf der Verliererseite enden.
Wer nicht für das als richtig Erkannte kämpfe, der könne nicht nur, sondern der habe schon verloren, wurde ihm von Wissler entgegnet. Durch die opportunistische Haltung der Grünen und der SPD werde das Gewinnen der Schuldenbremse-Kritiker jedenfalls deutlich erschwert.
Spies räumte ein, dass er die sogenannte "Schuldenbremse" in der hessischen Verfassung nicht bräuchte. Urheber dieser Volksabstimmung sei die schwarz-gelbe Landesregierung. Die SPD habe lediglich darauf reagieren müssen.
Bröhling äußerte wenig Verständnis für die "verschrobene Dialektik der SPD". Die CDU wolle schlicht und angreifend "Legitimation für den Sozialabbau".
Deren Fraktionsvorsitzendem Dr. Christean Wagner etwa seien in den öffentlichen Statements der letzten Wochen keine Ideen zur Erhöhung der Staatseinnahmen über die Lippen gekommen. Davon träume wohl nur die SPD. Die Rede bei Wagner sei einzig von Sparen und insbesondere von Personalabbau.
Das sei natürlich eine grundfalsche Politik, meinte Spies. Seine Partei habe in den Verhandlungen in das betreffende Papier hineingeschrieben, dass nicht einseitig Sparen zu Lasten der Kommunen und der Bürger geschehen dürfe.
Gleichgewichtig müsse die "Einnahmeverantwortung" des Landes zum Tragen kommen. Die SPD sei für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Erbschaftssteuer sowie für eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
Dabei wisse er doch selber genau, dass all diese Steuerformen nur von der Bundesregierung beschlossen werden könnten, konterte Wissler. Dass die minimalen Textänderungen der SPD etwas bewirken könnten, sei eine "abstruse Hoffnung". Man setze damit auf die vage Eventualität, dass man vor dem Hessischen Staatsgerichtshof per Klage etwas erreichen könnte. Das sei nach den Erfahrungen der Vergangenheit aber absurd.
"Wenn wir vor 20 Jahren schon die Schuldenbremse gehabt hätten, wäre die deutsche Einheit flach gefallen", zitierte die argumentativ sehr stark auftretende Linken-Fraktionsvorsitzende die frühere Bundesverfassungsrichterin Dr. Christine Hohmann-Dennhardt.
Bröhling monierte, dass ein Rechtsgutachten des hessischen DGB klar herausarbeite, dass dieser eine eingefügte Satz zur "Einnahmeverantwortung" verfassungsrechtlich wenig aussichtsreich sei. Die SPD stelle sich bei der Schuldenbremse erneut gegen die Gewerkschaften. Da die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder aber deutlich das Zehnfache der Parteienmitglieder ausmache, habe der entschlossene Widerstand gegen die Schuldenbremse in Hessen dennoch Erfolgsaussichten.
Landessteuern brächten bekanntlich wenig. Schlimm sei die Aussicht auf eine Wiedereinführung der Studiengebühren.
Wissler sprach von der Gefahr, dass die eingeschlagene Richtung der derzeitigen Regierungskoalition zu verstärkten Privatisierungen und sogenannten "Public-Private-Partnerships" (PPS) führen könnten. Die nächste Landesregierung ab 2014 habe mit einer sogenannten "Schuldenbremse" nur mehr minimale Handlungsspielräume zu sinnvoller, vernünftiger Politik. Und wenn die Klausel bei der Volksabstimmung durchkomme, dann würden eher die Schwarz-Gelben vor das Landesverfassungsgericht ziehen, hielt sie Spies vor.
Mitglieder des Kreistags verwiesen in der Fragerunde mit Beispielen aus dem Landkreis darauf, dass die "Orgie der Kürzungen im Sozialen" schon vorweggenommen werde. Das werde immer schlimmer. Eine Rollstuhlfahrerin zeigte sich besorgt, dass Behinderte demnächst in Heime abgeschoben würden, da das "billiger" sei.
Einen wichtigen Punkt der Diskussion markierte die Auseinandersetzung um das Wähleranschreiben, das demnächst an alle Wahlberechtigten-Haushalte verschickt wird. Die Argumentation der Linken und Gewerkschaften gegen die Schuldenbremse wurde trotz ihrer Proteste darin mit keinem Wort erwähnt.
Dieser Sachverhalt führte zu deutlicher Kritik in der Fragerunde. Eine solche Unfairness sei schlicht unanständig und verantwortungslos.
Spies verteidigte sich halbherzig, das sei halt ein Beschluss der breiten Mehrheit des hessischen Landtags. Er habe sich nur an die Fraktionslinie gehalten.
Bröhling machte dazu einen Aktionsvorschlag. Dieses unsägliche Wähleranschreiben solle man mit Protest an den Landeswahlleiter zurückschicken.
Ein Ver.di-Sprecher kündigte für die nächsten Wochen zahlreiche öffentliche Aktionen seiner Gewerkschaft zur hessischen Schuldenbremse an. Es werde Versteigerungen zugunsten der klammen Stadtkassen geben sowie Beteiligung an Karnevalsumzügen mit eigenen Wagen, um Aufmerksamkeit für die Verhinderung dieses Sozialabbau-Mechanismus zu gewinnen.
Die Entscheidung, nur drei Personen zur Schuldenbrems-Diskussion auf das Podium zu setzen, erwies sich als sehr gut, da keine Langeweile wegen Wiederholungen aufkam.
Nach einer sehr lebhaft kontroversen, aber immer fairen Diskussionsveranstaltung gingen die rund 60 Besucher nach rund zweieinhalb Stunden auseinander.
Zuvor erfuhr man noch, dass zeitgleich im Hörsaalgebäude eine Vollversammlung der Marburger Studierenden zur gleichen Thematik stattfand. Deren rund 150 Teilnehmer hatten ebenfalls Verbreitung des Widerstands gegen die "Schuldenbremse" in der hessischen Verfassung beschlossen.
Jürgen Neitzel
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