30.04.2008 (nur)
"Das Internet ist nur ein Hype", mutmaßte Bill Gates im Jahr 1995. Der Microsoft-Mitbegründer hielt das World Wide Web für eine Eintagsfliege. Am Mittwoch (30. April) wurde das Internet 15 Jahre alt.
In dieser Zeit hat sich das Medium von einem komplizierten technischen System zum sogenannten "Web 2.0" entwickelt. Im Gegensatz zum Web 1.0 können Nutzer nunmehr die Inhalte einer Internet-Seite selbst mitbestimmen, indem sie Daten oder Kommentare online eintippen.
Ein Beispiel für das Web 2.0 ist das soziale Netzwerk
studiVZ. Bei dem Studierenden-Verzeichnis handelt es sich um eine rote Internet-Seite.
Geht man durch die Marburger Universitätsbibliothek (UB), so sieht man auf annähernd 80 Prozent aller Rechner dort diese Seite als persönliche Startseite der Studenten.
Durchschnittlich zwei Mal pro Tag loggt sich jeder akkreditierte Student in das Verzeichnis ein, um dort den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen.
Neugierde wird im studiVZ garantiert befriedigt: Hier steht, wer wen über sechs Ecken kennt, wer welche sexuelle Orientierung hat und wer sich in seiner Freizeit wofür engagiert.
Außerdem definieren sich viele Mitglieder über ihre Gruppen-Zugehörigkeit. Die Gruppen reichen von "Jeder Topf hat einen Deckel - aber ich bin da, glaub' ich, ein Wok" bis hin zu "Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg". Die Mitgliedschaft in einer Gruppe soll das Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Netzwerks stärken.
Selbst wer in der analogen Welt keine Freunde hat, wird in der digitalen fündig. Leicht lässt sich im studiVZ die eigene "Freundschaftsliste" mit den Namen anderer Mitglieder auf 100 "Freunde" erweitern.
Der Kontakt zwischen den fünf Millionen Mitgliedern ist schnell hergestellt: Das sogenannte "Gruscheln" ermöglicht den Nutzern, völlig fremde Menschen mit einem Mausklick gleichzeitig zu "grüßen" und zu "kuscheln".
Warum also noch analog studieren? Warum noch "Big Brother" anschauen? Und warum gegen Online-Durchsuchungen klagen?
Das alles ist bereits gängige Praxis in dem im Jahr 2005 gegründeten Netzwerk: Hier werden stundenlang die Fotos anderer Mitglieder studiert. Hier wird jede Bewegung von Seite zu Seite aufgezeichnet. Und hier können sämtliche Kontaktdaten von Unternehmen, Banken und Versicherungen zu Werbezwecken eingesehen werden.
Liebe Studenten, ihr braucht euch nicht mehr für den Marburger "University's Finest Kalender 2009" auszuziehen - ihr seid bereits nackt! Wundert euch also nicht, wenn euch im Bewerbungsgespräch kein Personal-Verantwortlicher mehr nach euren Soft Skills fragt!
Er fragt einfach eure 100 "Freunde" im studiVZ. Dabei denkt der neugierige Student dann vielleicht: Es lebe das "stasiVZ"!
Nora Reim
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