27.01.2011 (gac)
"Mit Mitteln des Rechts gegen Rechts" lautete der Titel einer Podiumsdiskussion am Mittwoch (26. Januar). Die
Humanistische Union (HU) und der
Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatten dafür den Rechtsanwalt Tronje Döhmer aus Gießen, Michael Weiß vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin sowie den Pastoralreferenten Joachim Schäfer aus Wetzlar eingeladen. Moderiert wurde die Veranstaltung im Stadtverordeneten- Sitzungssaal von der früheren hr-Journalistin und Leuchtfeuer-Preisträgerin Ulrike Holler.
Die drei Gäste klärten die gut 20 Besucher dabei über teils sehr besorgniserregende Entwicklungen der letzten Zeit auf. Weiß präsentierte dazu Fotos, um die Problemlage zu veranschaulichen.
Auf diesen Bildern waren oftmals feiernde Jugendliche mit auffälligen T-Shirts oder Tätowierungen zu sehen. Weiß erklärte, dass es sich dabei um versteckte faschistische Symbole handelt wie etwa eine Schwarze Sonne oder die Ziffernfolgen 18 für "Adolf Hitler“ und 88 für "Heil Hitler". Auch Neonazi-Einträge aus Sozialen Netzwerken wurden gezeigt.
Weiß betonte, dass besonders die Lage im Hinterland wie etwa im Schwalm-Eder-Kreis und im Lahn-Dill-Kreis äußerst bedenklich sei. Rechte Jugendliche träten dort mit immer größerem Selbstbewusstsein auf. Gleichzeitig sei es immer schwerer, sie als Nazis zu erkennen.
Durch Mitgliedschaften in der örtlichen Feuerwehr oder im Sportverein sowie durch spezielle Partys seien Neonazis fest im öffentlichen Leben verwurzelt. Dieses Phänomen bezeichnete Weiß als "Alltagskulturelle Vereinigung", bei der Nazis mit der normalen Jugendkultur verschwimmen.
Dabei würden Jugendliche geradezu in diese rechten Strukturen hineingeboren. Viele kämen bereits aus einem reaktionären Elternhaus. Der Einfluss anderer Jugendlicher sowie erwachsene Bezugspersonen aus der Szene trieben eine entsprechende Entwicklung voran.
Allerdings handele es sich nicht - wie häufig vermutet - um ein "Unterschichten-Problem". Eine rechte Gesinnung sei in allen gesellschaftlichen Gruppen vertreten. Sie sei aber auch ein Produkt der zunehmenden "Ellenbogen-Mentalität" in der Gesellschaft.
Diese Aussage bestätigte Schäfer aus eigener Erfahrung. Er hatte in der Vergangenheit den Ärger Rechter Gruppen auf sich gezogen, indem er diverse Neonazi-Aktionen gefilmt und kritisch kommentiert ins Internet gestellt hatte.
Besonders erschrocken zeigte er sich nach einer Demonstration von Rechten über die Vielzahl der Teilnehmer. "Als ich mein Filmmaterial später meinen Freunden und Bekannten gezeigt habe, hat jeder mindestens einen der Demonstranten persönlich gekannt", berichtete er bestürzt.
Nachdem er persönliche Kontakte zu Mitgliedern der rechten Szene aufgebaut hatte, war ein Brandanschlag auf das Haus des Förderschullehrers verübt worden. Über die schleppende Entwicklung desdazu immer noch laufenden Verfahrens zeigte sich sein Rechtsvertreter Döhmer enttäuscht.
"Es ist empörend und traurig, wenn man sieht, wie der politische Hintergrund beiseite geschoben wurde", sagte er. Dabei verwies er auf eine teils gefährliche Nähe der Justiz zur rechten Szene.
Allerdings könne man allein mit juristischen Mitteln nur wenig erreichen. Viel entscheidender sei der politische Wille, gezielt gegen Rechts vorzugehen.
Doch auch hier gebe es Schwierigkeiten, berichtete Weiß. Die Politik in Hessen dränge das Thema beiseite, um im bundesweiten Vergleich der rechtsmotivierten Straftaten weiterhin auf den unteren statistischen Rängen zu bleiben.
Viele Kommunalpolitiker betrachten Berichte über faschistische Umtriebe vor ort als "Nestbeschmutzung". Erst wenn überregionale Medienberichteten, werde gezielt eingegriffen, um dem öffentlichen Ansehen der jeweiligen Ortschaft nicht zu schaden.
Als nach eineinhalb Stunden die Diskussion auch für die Besucher geöffnet wurde, stand vor allem die Frage im Raum, wie man gegen diese Entwicklungen weiter vorgehen könne. Das Problem seien nicht die rechten Organisationen, betonte Weiß erneut, sondern die rechte Tendenz als ganzes innerhalb der Jugendkultur.
"Was sollen wir nun mit diesen fehlgeleiteten jungen Leuten machen?", fragte ein besorgter Besucher.
"Die legislativen Mittel, die Entwicklungen zu stoppen, sind da", erklärte Döhmer. Vielfach fehle es jedoch am Problembewusstsein und am politischen Willen, dagegen vorzugehen.
Man könne der Polizei und der Justiz das Problem aber nicht überlassen, betonte Weiß. Der Impuls müsse aus der gesellschaftlichen Mitte kommen.
Engagement im eigenen Wohnort könne helfen, kleine Erfolge zu erzielen. In diesem Zusammenhang wurden einige positive Beispiele wie der Verein "Grätsche gegen Rechts“ aus Eschzell im Wetterau-Kreis genannt.
Während die Polizei im Vogelsberg-Kreis durch konsequentes Einschreiten die Nazi-Umtriebe spürbar zurückgedrängt habe, sei die Lage im Lahn-Dill-Kreis weiterhin problematisch. Hier zeigten viele Verantwortliche nur wenig Bereitschaft, sich dem Problem tatkräftig zu stellen.
Döhmer verwies nachdrücklich auf die Notwendigkeit der Gegenöffentlichkeit. Nur mit Kontrolle und Ausdauer ließe sich der Umgang der Justiz mit Nazis wirksam kontrollieren.
Abschließend erzählte Holler, dass sie ihren Söhnen früh "das Virus, gegen Nazis zu sein" eingepflanzt habe. Sie würden sich nun stets aktiv an Demonstrationen gegen Rechts beteiligen.
"Trauen Sie sich da ruhig was zu", forderte sie die Teilnehmenden der Veranstaltung auf. "Man kann was machen!"
Giulia Coda
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