03.12.2010 (fjh)
Eine ausgeklügelte Choreografie sorgt in lebenden Zellen dafür, dass Aminosäuren in der vorgesehenen Reihenfolge verknüpft werden, wenn Proteine synthetisiert werden. Marburger Pharmazeuten um Prof. Dr. Roland Hartmann und ihre Kooperationspartner haben jetzt mit bisher ungekannter Genauigkeit nachgezeichnet, welch komplizierte Bewegungen dabei ablaufen. Ihre Erkenntnisse haben sie in der Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift "Nature" von Donnerstag (2. Dezember) veröffentlicht.
Die Biosynthese von Proteinen findet an großen Molekülkomplexen statt. Diese sogenannten „Ribosomen“ fungieren als Montage-Plattformen, an denen Ausgangsmaterialien und Werkzeuge zusammengeführt werden.
Damit funktionsfähige Eiweißverbindungen entstehen, müssen die Aminosäuren genau so angeordnet werden, wie es genetisch vorgegeben ist. Als Verbindungsstück zwischen der genetischen Vorlage und dem entsprechenden Protein kommt die sogenannte „tRNA“ zum Einsatz.
Sie trägt jeweils eine bestimmte Aminosäure. Zugleich verfügt sie über eine Bindungssequenz, die exakt zu definierten Stellen der Vorlage passt. Auf diese Weise gelangt jede Aminosäure automatisch an die für sie vorgesehene Position.
Sobald ein tRNA-Molekül seine Aminosäure an die wachsende Kette eines Proteins abgegeben hat, wandert es entlang des Ribosoms weiter, um Platz für die nächste tRNA zu machen. Dabei bildet das Ribosom einen Komplex mit einem Enzym namens „EF-G“, das den Transportprozess erleichtert.
Die beteiligten Wissenschaftler sind nun der Frage nachgegangen, wie der Ortswechsel der tRNA-Moleküle im Detail vor sich geht. Das war ein anspruchsvolles Unterfangen, weil die Bewegung sehr schnell vor sich geht, sodass sie nur schwer zu beobachten ist.
Die internationale Arbeitsgruppe rekonstruierte die aufeinander folgenden Zustände des Ribosoms, indem ein Team um Prof. Dr. Christian Spahn an der Charité in Berlin die Methode der dreidimensionalen Kryo-Elektronenmikroskopie nutzte. Bei diesem Verfahren werden die Ribosomen in flüssigem Ethan bei –192 Grad Celsius schockgefroren und mehrere 100.000 zweidimensionale Einzelbilder in zwei dreidimensionale Rekonstruktionen zurückprojiziert.
Für die tRNA lassen sich drei Positionen unterscheiden: An der ersten bindet die tRNA ans Ribosom, wobei sie eine Aminosäure trägt (A-Position). An der zweiten hat sie die Aminosäure abgegeben (P); und an der dritten verlässt die tRNA das Ribosom (E).
Den Autoren ist es nun gelungen, einen neuartigen Übergangszustand zu identifizieren, bei dem sich die tRNA zwischen zweien dieser Positionen befindet. Wie die Forscher darüber hinaus feststellten, geht dieser Transport mit festgelegten Bewegungen des Ribosoms einher.
Seine beiden Untereinheiten vollführen gegenläufige Drehungen. Dadurch schieben sie die tRNA von einer Position zur nächsten.
Dabei gewährleistet das EF-G-Enzym, dass die Bewegungsrichtung beibehalten wird. Sie wirkt wie ein Türstopper, der das Zurückschwingen verhindert.
„Unsere Einblicke in die Struktur der tRNA-Zustände legen ein Modell nahe, bei dem der tRNA-Transport durch Drehung, Einrasten und Entsperren des Ribosoms erleichtert werden“, fassen die Forscher ihre Ergebnisse zusammen. „Diese Befunde erlauben unmittelbare strukturelle und mechanistische Einsicht in die Zwischenprodukte, die an der universell konservierten Translokation beteiligt sind.“
An der Publikation in „Nature“ sind neben Hartmann und seinem Mitarbeiter Andreas Ratje weitere Wissenschaftler aus Berlin, München, Frankfurt und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) beteiligt. Hartmanns Arbeitsgruppe am Institut für Pharmazeutische Chemie der
Philipps-Universität beschäftigt sich vor allem mit der Struktur und Funktion katalytischer und regulatorischer RNA-Moleküle.
pm: Philipps-Universität Marburg
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