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Hoher Einsatz


Hessische Theatergespräche über Schule und Theater

25.11.2010 (jnl)
Was haben so grundverschiedene Institutionen wie Schule und das Hessische Landestheater an gemeinsamen Interessen? Unter dem Obertitel "Kulturelle Bildung oder Nachwuchspflege - was soll das Theater in der Schule?" tagte am Mittwoch (24. November) das zweite Hessische Theatergespräch.
Zu Ehren der am Podium teilnehmenden hessischen Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann fand es diesmal im Foyer des Marburger Kunstvereins statt. Statt des erkrankten Gastgebers Prof. Dr. Wolfgang Schneider sprang kurzfristig Dr. Gerd Taube - der Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums der Bundesrepublik Deutschland in Frankfurt - als Moderator ein.
Die zweite Ausgabe der Hessischen Theatergespräche widmete sich einem für die Zukunft des Theaters zentralen Thema. Das Publikum muss im Schnitt deutlich jünger werden und die Einzugsbasis breiter, damit das Theatersystem zukunftsfähig und legitimiert bleibt. Der Weg dahin führt über eine engere Kooperation mit den Schulen.
Viele Initiativen sind dahingehend auf die Beine gestellt worden. Am Samstag (6. März) wurde von Vertretern der beteiligten Ministerien und Dachverbände in Marburg die richtungsweisende "Rahmenvereinbarung zur Zusammenarbeit von Theatern und Schulen" unterzeichnet.
Mindestens einmal im Schuljahr soll möglichst jeder Schüler mit seiner Klasse eine Theateraufführung besuchen. Ein auf 4 Euro pro Schüler verbilligter Eintritt ermöglicht auch finanzschwachen Familien die Teilnahme. Der Lehrer und - vom Landestheater gestellte - Dramaturgen organisieren die Vor- und Nachbesprechungen.
Als Leiter der neu eingerichteten Abteilung "Netzwerk Theater und Schule" vermeldete Jürgen Sachs stolz die hohe Zahl von mittlerweile 28 Kooperationsverträgen mit Schulen in Nord- und Mittelhessen. Nicht nur innerhalb der Stadt Marburg, sondern bis nach Frankenberg und Homberg an der Efze reichen die eingegangenen Bindungen.
Die bange Frage im Hintergrund des November-Podiums war, ob diese erheblichen Anstrengungen reichen werden. Kann das kostspielige deutsche Theatersystem in der nachwachsenden Generation dadurch neu verankert werden? Sind Schule und Profi-Theater miteinander "systemkompatibel"?
Die Antworten auf dem Podium fielen sehr unterschiedlich aus. Auch etliche Lehrer aus dem Publikum beteiligten sich engagiert an der Diskussion. Sie schätzten die Möglichkeiten, an den Schulen mehr Theaterarbeit zu erreichen, wegen geringer Freiräume und Kapazitäten aber eher skeptisch ein.
Schuldirektor Michael Prötzel von der Europaschule Gladenbach äußerte sich auf dem Podium vorsichtig optimistisch. Man müsse eine lange Aufbauarbeit beginnen, um Schüler zu Nutzern und Genießern des Profi-Theaters zu machen.
Ministerin Kühne-Hörmann zeigte sich äußerst selbstbewusst. Ihr sei es gelungen, trotz angespannter Kassenlage im Landesetat 2011 im Bereich Kultur keine Kürzungen hinnehmen zu müssen.
Bei den drei - aus ihrem Ressort finanzierten - Staatstheatern gebe es aktuell 30 Prozent mehr Zuschauer zu vermelden. In Krisenzeiten werde das Theater von den Bürgern mehr denn je gebraucht und genutzt.
Theaterintendant Matthias Faltz setzte auf das Konzept "lebendiges Theater". Gemeint ist damit, dass ein hoher Erlebniswert für kulturelle Bildung sorgt. So könne die darstellende Kunst potenziell mehr erreichen als die übrigen Medien, die überwiegend bloße Unterhaltung produzieren.
Der Lehrer Dr. Tobias Purtauf von der Elisabethschule rollte das Feld mit sehr praxisnahen Beispielen auf. Sein Gymnasium hat mit praktischer Theater-Projektarbeit auf breiter Front durchgestartet.
Insgesamt gibt es gegenwärtig zwölf Theatergruppen innerhalb der Elisabethschule. Sechs Lehrer widmeten sich dieser zeitintensiven Betreuungsarbeit.
Dabei stoße man allerdings an eigene Kapazitätsgrenzen. Von Seiten der Schüler gebe es indes ein - weiter wachsendes - riesiges Interesse.
Der Erfolg dieser Arbeit strahle in viele weitere Fächer und die Atmosphäre der Schule aus. "Schüler kriegen nach einer erfolgreichen eigenen Aufführung drei Wochen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht", schilderte Purtauf.
Bedauerlicherweise werde man zum Fachlehrer für "Darstellendes Spiel" nur über eine dreijährige Weiterbildung bei fortlaufender voller Unnterrichtsbelastung. Die Staatsministerin forderte der Lehrer daher auf, zu prüfen, ob diese Qualifikation nicht bereits in die Lehrerausbildung an den Hochschulen als Wahl-Modul integriert werden könne. Kühne-Hörmann versprach, sich darum zu kümmern.
Der Vorstoß von Faltz, nach dem Vorbild der Wiesbadener Helene-Lange-Schule eine vierwöchige Projekt-Theaterarbeit in den Schulen zu ermöglichen, stieß auf erbitterten Widerstand eines Lehrers aus dem Publikum. Er hielt ein solches Vorhaben für völlig unrealistisch und undurchführbar.
Der sehr kompetent und freundlich agierende Moderator markierte einen Aspekt als wesentlich. Nach seinen Praxiserfahrungen ergäben sich Kompetenz- und Bildungsgewinne bei den Schülern nicht durch "Druck" und Prüfungen sondern vor allem nebenbei.
Purtauf gab ihm nur teilweise recht. Er verwies auf die - im schulischen Betrieb verankerte - Notwendigkeit, Noten zu vergeben. Er räumte aber ein, dass ein Schüler, der seine Bühnenangst besiegt habe, auch beim Referat wesentlich angstfreier auftreten werde.
Faltz insistierte darauf, dass Theater "zu 100 Prozent kulturelle Bildung" sei und als "Gegenpol" zum überwiegend seichten Angebot des Fernsehens und Mainstream-Kinos fungiere. Zu den nächsten Hessischen Theatergesprächen habe er den Leiter der Gießener "Angewandten Theaterwissenschaften" eingeladen.
Jürgen Neitzel
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