22.11.2010 (jnl)
"Verdrängung ist das Wesen der Gentrifizierung, ihr Ziel, nicht ein unerwünschter Nebeneffekt", sagt Prof. Dr. Peter Marcuse von der Columbia University in New York City. In solch erfrischend klaren Statements und Zitaten gipfelte der Vortrag des Statdtsoziologen Werner Girgert am Montag (22. November) im
Technologie- und Tagungszentrum (TTZ).
Unter dem Titel "New York - Die Global City sortiert sich neu" befasste sich Girgert vor allem mit städtebaulichen Entwicklungen der letzten 40 Jahre in New York. In einem angenehm gemäßigtem Sprechtempo und bestens bebildert aus dem laptop-gesteuerten Beamer, verdeutlichte er die Dynamik der globalisierten Ökonomien und warum sie zur Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen aus den Stadtzentren führt.
An vier Beispielen aus Manhattan, Brooklyn und der South-Bronx zeigte er die wichtigsten Veränderungsprozesse am Wohnungsmarkt der Weltstadt am Hudson River auf.
Die durch billige Wohnungsbaukredite ausgelöste Stadtflucht der Mittelschicht-Familien in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) hat sich in den letzten 20 Jahren teilweise umgekehrt. Besonders in "Global Citys" wie New York wollen die Wohlhabenderen wieder innerstädtisch wohnen.
Erstmals seit 40 Jahren haben daher die Weißen in Manhattan wieder eine Bevölkerungsmehrheit von 51 Prozent. So lauteten Schlagzeilen der Presse im Frühherbst 2010.
In den früher zu Schwarzen-Gettos verwahrlosten Gründerzeit-Bauten von Central Harlem wohnen neuerdings häufig Gutverdiener. Da viele mit dunkler Hautfarbe darunter sind, spricht man von einer "Black Gentrification".
Als soziologische Marker für die "umfassende Veränderung der Neighbourhoods" benannte Girgert die Steigerung der mittleren Haushaltseinkommen im Untersuchungsgebiet "Upper Manhattan" von 1990 bis 2008 auf das Dreifache. Auch die festgestellte Zunahme des Anteils der College-Absolventen von 11,5 Prozent im Jahr 1990 auf 29,1 Prozent im Jahr 2008 spricht Bände.
Dabei wies Girgert ausdrücklich darauf hin, dass es dort bislang noch 3.900 Sozialwohnungen gibt, deren Mietsteigerungsdeckelung allerdings demnächst auslaufen wird.
Überhaupt müsse man sich klar darüber sein, dass seitens der Verwaltung zwischen 1995 und 2006 insgesamt 335 Millionen Dollar Fördergelder für die Ansiedlung von Einzelhandelsunternehmen geflossen seien. Der Staat habe also die Verdrängung der armen Bevölkerung wesentlich angeschoben.
Beim zweiten Beispiel nahm Girgert die Veränderungen im Quartier "Mott Haven" in der South Bronx unter die Lupe. In den 80er Jahren war die Wohngegend so heruntergekommen, dass sie ein Synonym für Armut, Drogen und Gewalt darstellte.
Ein Foto, das der Vortragende selbst im Frühjahr 2010 dort geschossen hatte, zeigte ein Haus samt Schild mit der Aufschrift "Operation Clean Halls". Es dokumentiert die - unter dem Bürgermeister Ralph Guiliani erfolgreich umgesetzte - Strategie, die Wohnblocks polizeilich scharf auf Drogen- und Gewaltfreiheit zu kontrollieren.
Andererseits haben mittlerweile Investoren ihr Auge auf das Wohngebiet geworfen. Denn die Südbronx ist von Manhattan nur durch den Harlem River getrennt. Die durchschnittlichen Mieten sind in den letzten zehn Jahren von 350 auf 650 Dollar gestiegen. Leerstehende Lagerhäuser in dieser früheren Hafen-Industriegegend werden vermehrt in schicke Lofts umgewandelt. Für Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen zahlt man dort dann 1.200 bis 2.200 Dollar im Monat.
Als wichtigste Triebkraft hinter den sichtbar werdenden starken Veränderungen benannte Girgert die globalisierte Ökonomie. Die Steuerungszentralen dieser Prozesse säßen in so unterschiedlich großen Städten wie London, New York, Frankfurt am Main, Tokyo und Shanghai. Dort sammelten sich entsprechend zahlreiche gutverdienende Mittelschichtler und Kreative. Da die häufig kooperativen Projekte dieser Leute direkte Kommunikation verlangten, ziehe man zielstrebig "downtown", um lange Anfahrtswege zu vermeiden.
Die Renaissance der Stadtzentren schuf sowohl teuere Wohngegenden wie auch touristische Aufwertungen. Die traditionelle Mittelschicht hingegen geriet in die Krise, da ihre kleinen Läden und Handwerksbetriebe ökonomisch nicht mithalten konnten.
Die Privatisierung öffentlicher Räume führte zu exklusiven neuen "Security"-Wohnformen wie "Gated Communities". Auch Malls mit Luxuswaren-Angebot entstanden in sogenannten "Gated Districts" mit rigiden Zugangskontrollen und privaten Sicherheitsdiensten.
An die Stadtränder verdrängt wurden arme Bevölkerungsgruppen. Dort entstünden möglicherweise veritable Slums.
Doch die Forschung lasse eher offen, wo in New York diese Armutsverdrängten sich sammelten. Jedenfalls verschärfe sich die räumliche Segregation.
Während auf das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten ein Einkommensgefälle von 10 zu 1 geschätzt werde, liege es in New York City eher bei 52 zu 1. Das Phänomen der Gentrifizierung lasse sich daher in dieser Global City besonders gut beobachten.
Abschließend brachte Girgert noch anhand zweier Beispiele aus dem nördlichen Brooklyn eine kleine Phänomenologie der beobachtbaren Veränderungen. Ein sicherer Indikator für eine durchgezogene Gentrifizierung sei das Vorhandensein von Starbucks-Kaffeehäusern. Weitere typische Konzern-Präsenzen zeigte Girgert anhand von Fotos auf.
Die vor der ersten Welle der Gentrifizierung in den 70er Jahren aus "Lower Manhattan" Geflüchteten hätten sich bevorzugt in Williamsburgh in Nord-Brooklyn angesiedelt. In diesem ehemaligen Arbeiterviertel sei eine Alternativszene der Jugendkultur entstanden.
Seit Mitte der 90er Jahre seien indes die Mieten "explodiert". Nur wer einigermaßen Einkommen erziele, könne sich das Wohnen in dieser - zu Manhattan nahen - Gegend noch leisten. Viele zögen wegen des zunehmenden Kostendrucks weg.
Am Beispiel der Neighborhood "Dumbo" zeigte Girgert die ökonomische Kraft, die Immobilien-Investoren in die Entwicklung steckten. Ein einziger Investor namens Walentas habe dort den gesamten Altbaubestand aufgekauft und nach und nach zu lukrativen Lofts umgewandelt.
Der Widerstand aus der Bezirksverwaltung sei anfangs noch beträchtlich gewesen. Mit der Zeit habe er aber nachgelassen.
So sei hier eine neue Wohngegend für Wohlhabende entstanden. Ihr Vorteil liege vor allem darin, dass sie Leuten aus der Mittelschicht, die sich die horrenden Mieten in Manhattan nicht leisten könnten, eine schnelle U-Bahn-Verbindung dorthin ermögliche.
Seit Beginn der 90er Jahre bestimmten zunehmend solche Großinvestoren und global agierende Immobilienfonds-Manager das Geschehen. Als Mittel der Abwehr solcher Entwicklungen verwies Girgert in Beantwortung entsprechender Fragen auf die bekannten Möglichkeiten des sozialen Wohnungsbaus sowie gezielter Stadtplanung und Auflagenerteilung.
Über Fälle von aufgedeckter Korruption in der Immobilienwirtschaft von New York sei ihm nur ein einziges Kapitel in einem Fachbuch bekannt. Offenbar gebe es da nicht viel an Veröffentlichungen.
Die rund 50 zufriedenen Besucher der Veranstaltung wurden zum Schluss darauf aufmerksam gemacht, dass weitere Vorträge dieser Reihe zum Städtebau demnächst anständen.
Jürgen Neitzel
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