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Arbeitslosigkeit


"Der Selbstmörder" erwies sich als leichte Komödie

07.11.2010 (jnl)
Mit gut gespielten Komödien kann man beim Publikum immer ankommen. Nach diesem Motto verfuhr Regisseur Hansjörg Betschart mit seiner Inszenierung frei nach dem Theaterstück "Der Selbstmörder" von Nikolaj R.Erdmann am Samstag (6. November) auf der "Bühne" des Hessischen Landestheaters Marburg am Schwanhof.
Die - im Vorfeld hoch veranschlagte und mit lauter ehrgeizigen jungen Mitgliedern des Ensembles besetzte - Satire bot turbulente Unterhaltung. Die versprochene Auseinandersetzung mit dem Phänomen "Arbeitslosigkeit" hingegen fand kaum statt.
Eine dramaturgisch überaus gelungene Eingangsszene zeigte den Hauptdarsteller Herbert Huber (Sebastian Muskalla) im nächtlichen Psycho-Clinch mit seiner Ehefrau Uschi (Oda Zuschneid). Es geht um die Wurst. Vordergründig ist es eine Leberwurst. Doch eigentlich geht es um Geltung und Macht in der Beziehung der beiden. Dass die Ehefrau nun das Geld verdient, kränkt den Narzissmus des Mannes.
Mit geschickten Psychotricks bringt er sie zum "klein Beigeben", so dass sie aus Schuldgefühl seine Dominanz neu anerkennt. Um ihn zu halten, ermöglicht sie ihm, seine neueste Geschäftsidee auszuprobieren. Obwohl er keinerlei Ahnung vom Musik Machen hat, wird - das imposanteste aller Blasinstrumente - eine Tuba herangeschafft. Seine unbeholfenen Versuche damit zeigen deutlich, dass dieser "Schnapsidee" keinerlei Aussichten innewohnen. Er phantasiert von einem enormen Jahreseinkommen, das er mit Konzerten erzielen will.
Bis dahin ist die Story noch wirklichkeitsbezogen grundiert. Selbstmitleid und Größenwahn sind psychologisch komplementär. In der Gestalt des Herbert Huber kann man einen verbreiteten zeitgenössischen Typus wiedererkennen.
Doch als er in Trübsinn verfällt und sich umbringen will, trifft er plötzlich auf zahlreiche Interessenten, die von seinem Ableben profitieren möchten. Ein Banker, eine Kokotte, ein Priester und ein Polizist wetteifern darum, wem die offenbar verwertbare moralische Schuld am unausweichlichen Suizid Hubers zukomme.
Dieser Wettstreit ihrer absurden Plädoyers hatte eine gewisse Komik. Doch hörte man nur wenig Lacher.
In die Pause geschickt, fand sich das Publikum im Foyer mit einer bizarren Fortsetzung der Spekulation konfrontiert. Der Banker (Martin Maecker) drehte ein großes Glücksrad. Wer eine der Los-Nummern bekommen hatte, durfte einen der über 30 Vorschläge, warum Huber sich umbringe, umbiegen auf eine eigene Idee.
In der zweiten Hälfte sieht sich Huber regelrecht bedrängt, mit seiner "Selbstmord-Idee" zu einem festgesetzten Zeitpunkt ernstzumachen. Der Banker hat Anteilsscheine an dieser Hazard-Wette an alle Interessenten verkauft.
Obwohl Huber mächtig unter Druck steht, kann er sich zwar Mut antrinken; aber sich zu erschießen, gelingt ihm nicht. Muskalla meisterte bravourös eine mehrminütige Soloshow, in der Huber mit der Pistole in der Hand mit sich ringt und mogelnd seinen Countdown hochzählt.
Als fingierte Leiche legt sich Huber schließlich regungslos auf den Sarg. Die angelieferten Kränze hat er zuvor noch selbst quittiert und den Sargträgern Trinkgeld gegeben.
Mit ein bisschen Schiebung, wessen Kranz denn "gewonnen" habe, sind die versammelten Hazardeure ganz zufrieden mit sich.
Nur die Ehefrau schießt quer, denn sie glaubt nicht an den Tod. Als Huber dann tatsächlich "aufersteht", ist die Empörung enorm. Betrogene Betrüger vorzuführen, macht im Theater doch immer großen Spaß.
Das Stück endete also versöhnlich. Wer einfach nur eine hübsche, lustige Komödie erwartet hatte, fand sich an diesem Theaterabend gut bedient.
Die Schauspieler wirkten allesamt hoch motiviert. Heraus ragten Muskalla, Müller und Zuschneid.
Der charmanten "Natalie" Müllers verzieh man sogar das reichlich aufgetragene Französinnen-Klischee. Einzig der von Johannes Hubert dargestellte "Paparazzo" mit der Handy-Kamera wirkte arg übertrieben als "Knallcharge".
Das visuell großartige Bühnenbild mit acht parallelen Türen brachte kurz ein wenig Tanztheater-Flair in die Inszenierung hinein. Die Regie ließ den Schauspielern viel Freiheiten. Eine innere Notwendigkeit, mit mehreren Darstellern durch vollbesetzte Sitzreihen zu stromern, erschloss sich allerdings nicht.
Wieder einmal fiel Tobias M. Walter auf, der als dubioser "Pater Gregor" eine lustvoll repetierte Szene mit Muskalla hinlegte, die im Gedächtnis bleiben wird. Auch der von Ögun Derendeli gemimte "Polizist" hatte ein gewisses Etwas. Wann erlebt man schon mal einen Gesetzeshüter, der sich ausgerechnet über "Behördenwillkür" beklagt?
Erstaunlich war, dass bei einem so locker-leichten Komödienstoff im Publikum so wenig laut gelacht wurde. Sind die Mittelhessen wirklich so dröge? Das Premierenpublikum im fast ausverkauften Saal zeigte sich nach 135 kurzweiligen Minuten dann doch sehr zufrieden und applaudierfreudig.
Jürgen Neitzel
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