03.11.2010 (jnl)
Die Indizien gegen die Geltung der offiziellen Einzeltäter-These beim Oktoberfest-Attentat 1980 sind stringent. Wolfgang Schorlau stellte am Dienstag (2. Oktober) im
Technologie- und Tagungszentrum (TTZ) seinen Kriminalroman "Das München-Komplott" vor.
Alexandra Klusmann von der Agentur Mediakontakt Laumer lobte Schorlau als einen der Besten des deutschen Krimi-Genres. Über den Oktoberfest-Anschlag sei in ihrem Langzeit-Gedächtnis seltsam wenig Handfestes abrufbar gewesen.
Da ginge es ihr wie den meisten Deutschen. Sie freute sich, dass ein versierter Autor wie Schorlau nun Aufklärung in das Halbdunkel bringe.
Dabei war der Bombenanschlag auf das Oktoberfest 1980 mit 13 Toten und 68 Schwerverletzten das verheerenste Attentat der deutschen Nachkriegsgeschichte. Verantwortlich war laut damaligen Behörden-Verlautbarungen ein geistesgestörter Einzeltäter. Obwohl Kontakte des jungen Mannes zur rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann" bekannt wurden, hielt man an dieser Version fest. Da der Attentäter selber bei dem Anschlag starb, erging nie ein Gerichtsurteil.
Schorlau beleuchtete eingangs die Hintergründe des Themas detailliert. Durch die Kontaktaufnahme zweier älterer Herren, die sich ihm nicht namentlich vorstellten, sei er auf den Fall neu aufmerksam geworden.
Die Beiden ermöglichten ihm das Aktenstudium von polizeilichen Unterlagen der damaligen "Sonderkommission Theresienwiese". Auf Widersprüche in den Akten wiesen sie ihn gezielt hin. Ebenso hatten sie ihm das nur mehr antiquarisch erhältliche Buch des Journalisten Ulrich Chaussy "Oktoberfest - ein Attentat" nahegelegt.
Eine Fülle an Unstimmigkeiten und Auslassungen in den offiziellen Zusammenfassungen erregte Schorlaus Interesse. Er stieg in das 30 Jahre zurückliegende Thema neu ein. Daraus wurde "Denglers fünfter Fall".
Der Autor las an diesem Abend nur zwei kürzere Passagen aus seinem Buch. Das Publikum war es zufrieden, denn Schorlau verstand sich darauf, in freier Rede spannend über Fiktion und Realbezüge seiner Kriminalromane zu erzählen.
Der "kahlköpfige Kellner" aus der Roman-Reihe ist in der Realität der Inhaber des tatsächlich existierenden Weinlokals "Basta" im Stuttgarter Bohnenviertel. Den Künstler-Freund "Mario" aus den Dengler-Krimis gibt es ebenfalls wirklich. Und auch im realen Leben betreibt er ein "Ein-Tafel-Restaurant", das ausgesucht exquisite Küche bietet.
Schorlau plauderte ein wenig aus seinem Schriftsteller-Leben. Die vielen Nebenfiguren ständig kreativ weiterzuentwickeln, finde er zunehmend anstrengend. Als er sich nun vorgenommen hatte, im aktuellen Band einige davon abzuservieren, habe er es indes mit den Einwänden realer Ehefrauen zu tun bekommen.
Aus den Recherchen zum "München-Komplott" berichtete er von dem höchst merkwürdigen Ableben des wichtigen Zeugen Heinz Lemke. Der Mann war beim Aufsuchen eines Sprengstoff- und Waffenverstecks in der Lüneburger Heide verhaftet worden. Wegen Bezügen zum Anschlag in die Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim überstellt, fand man ihn eines Morgens an einem Kabel erhängt.
Auf Rückfrage aus dem Publikum bestätigte Schorlau, dass Untersuchungshäftlingen wegen des "Haftschocks" normalerweise alle zur Selbstgefährdung geeigneten Gegenstände weggenommen werden. Laut der Staatsanwaltschaft geschah das ausgerechnet in diesem Fall nicht.
Aufgedeckt wurde von dem Autor Tobias von Heymann, dass laut umfangreichen StaSi-Akten 22 Stunden vor dem Bombenanschlag in München eine geheime Operation der Verfassungsschutzämter stattgefunden hatte. Diese "Aktion Wandervogel" lege - wie das Publikum im TTZ mutmaßte - Analogien zum Bombenterror von Bologna vom 2. August 1980 nahe.
In Italien stellte sich die Verwicklung des Militärischen Geheimdienstes, der NATO-Geheimarmee "Gladio" mit rechtsextremistischen Täterkreisen heraus. In Deutschland wurden die Indizien zu "Gladio" ebenso wie die Unstimmigkeiten beim Oktoberfest-Anschlag nie wirklich staatlich überprüft.
Schorlau zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass die Initiativen der Bundestags-Abgeordneten Peter Dankert (SPD) und Jerzej Montag (Grüne) doch noch eine Neuaufnahme des Verfahrens bringen könnten.
Zum Ende der Veranstaltung kam Schorlau auf vielfachen Publikumswunsch auf die Bürger-Unruhen wegen des Bahnhofsabrisses in Stuttgart zu sprechen. Der 59-jährige Schorlau ist als Stuttgarter prädestiniert, als Beobachter des Geschehens offene Fragen zu beantworten. Zudem stellte sich heraus, dass er gerade eben für sein demnächst herauskommendes Sachbuch zu "Stuttgart 21" Korrektur gelesen hatte.
Wenig bekannt war die von ihm genannte Tatsache, dass bei beiden Stuttgarter Tageszeitungen jahrelang Verleger-Direktiven nur positive Berichte zu S21 durchließen. Erst nach und nach wurde aufgedeckt, dass zahlreiche prominente Befürworter über Aufsichtsratsmitglidschaften direkt von den Neubauplänen profitieren würden. Beispielsweise die Landesministerin Tanja Gönnert sitze im Beirat des geplanten Einkaufszentrums.
Diese Verfilzungen machten die Stuttgarter argwöhnisch und wütend. Es ständen Gemeinwohl- und Bürgerinteressen gegen Partikularinteressen bestimmter Wirtschaftskreise.
In Stuttgart seien klar 70 Prozent der Bürger gegen S21, nur 30 Prozent dafür. Bei dem schlimmen Polizeieinsatz Ende September habe man wohlweislich keine einheimischen Polizisten eingesetzt, sondern extra Einheiten aus anderen Bundesländern angefordert.
Jürgen Neitzel
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