27.10.2010 (jnl)
In der Reihe "Politik kriminell" stellt Gastgeber Ralf Laumer Krimi-Autoren vor, die sich politisch brisante Themen vorgenommen haben. Der Münchner Autor Peter Probst stellte am Dienstag (26. Oktober) im "Szenario im Auflauf" seinen aktuellen Roman "Blinde Flecken" vor.
Laumer berichtete in seiner Einführung, dass die Lektüre des - an diesem Abend vorgestellten - Romans ihm wirklich Vergnügen bereitet habe. Ein gewiefter Fernseh-Drehbuchautor wie Probst verstehe sich halt auf eine stimmige Dramaturgie.
Probst ist im Brotberuf tätig für die
Arbeitsgemeinschaft der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD). Für zahlreiche Folgen der Krimi-Serien "Tatort" und "Polizeiruf 110" hat er die Drehskripte verfasst. Mit seiner Ehefrau Amelie Fried, mit der er eng zusammnenarbeitet, hat er nebenbei eine Reihe Kinder-Krimi-Bücher geschrieben.
Die Lesung aus den Anfangskapiteln des Romans "Blinde Flecken" führte mitten hinein ins pralle Alltagsleben Münchens. Ein junger Typ namens Tim Burger steckt im Innenstadt-Stau. Geschildert werden seine inneren Monologe. Sie gehen über die üblichen Verwünschungen und den Ungeduldsärger weit hinaus.
Es ist eine Neigung zu Hass, die besonders irritiert. Angeheizt wird die Stimmungslage des Autofahrers durch - beim Fahren laufende - laute Musik. Die Band "Rammstein" singt über Blut und brennende Menschen. Dem Leser wird klar, dass es sich um einen jungen Neonazi handeln muss.
Als er eine Gruppe junger Sporthallen-Besucher in sein Blickfeld bekommt, die er als jüdisch erkennt, brettert er in einem Anfall von Hass den Mercedes seiner Mutter mitten hinein in die Menschen. Einer stirbt; mehrere werden schwer verletzt.
Burger wird aus dem Wagen gezerrt und landet in der Folge im Gefängnis. Da die Polizei und mit ihr die Richter den rechtsradikalen Hintergrund des Amoktäters unterschlagen, erhält er lediglich sechs Jahre Jugendstrafe.
Vier Jahre später bekommt der Held des Romans und Privatdetektiv Anton Schwarz - ein ehemaliger Polizist - von dem jüdischen Anwalt Karl Löwy den Auftrag, genauer nachzuforschen. Man befürchtet, dass die Gewalttaten aus Hass und Gesinnung nach der bevorstehenden Entlassung Burgers verstärkt losgehen.
Der Autor schilderte in flüssiger Folge und dezent schwarzhumoriger Sprache Episoden aus Burgers Gefängnisaufenthalt und aus dem privaten Leben des Ermittlers. In den 20 Minuten reiner Lesung entstand bei den Zuhörern ein Sog aus Spannung und Amüsiert-Sein.
In der Gesprächsrunde stand neben der Themenwahl des Romans vor allem der Autor selbst im Zentrum des Interesses. Der Titel "Blinde Flecken" steht laut Probst für Ausblendungen der Nazi-Problematik in Teilen der Öffentlichkeit, insbesondere aber bei Polizei- und Justizbehörden.
Der Münchner verwies auf die peinliche Differenz zwischen der offiziellen Polizeistatistik und der akribischen Nachzählung der Wochenzeitung "Die Zeit". Als Todesopfer rechtsradikaler Täter wurden bei der Polizei nahezu 50 Prozent weniger erkannt, als aus den Quellen der Journalisten zweifelsfrei hervorgingen.
Auch die gelegentlich bei repräsentativen Umfragen ermittelten rund 15 Prozent Deutschen mit einem geschlossen rechtsradikalen Weltbild führte Probst als peinliche Schmuddelecke der deutschen Demokratie an. Die meisten Bürger versuchten, eher weg- als hinzugucken, wenn es um Neonazi-Umtriebe gehe.
Der Bombenanschlag mit den meisten zivilen Todesopfern war der Oktoberfest-Anschlag vor ziemlich genau 30 Jahren. Die Todesopfer-Statistik terroristischer Taten in Deutschland werde nicht von Links,- sondern von Rechtsradikalen zahlenmäßig dominiert.
Probst und seine Frau haben die eigenen Familiengeschichten nach ausgeblendeten Opfern der Nazi-Terrorherrschaft durchforscht und sind fündig geworden. Bei den dreijährigen Recherchen für ihr gemeinsames Buch "Schuhhaus Pallas" war Probst sogar in Archiven des Leo-Baeck-Instituts in New York City.
Auch in Probsts katholischer Verwandtschaft gab es dunkle Flecken. Es waren Opfer, über die man in der Familie jahrzehntelang nicht sprach. Den beiden in einem litauischen Konzentrationslager (KZ) ermordeten Frauen hat Probst seinen Kriminalroman gewidmet.
Im Februar 2011 kommt ein weiterer Roman aus seiner geplanten Trilogie um den Detektiv Schwarz heraus, verriet der sympathische Schriftsteller. Unter dem Titel "Personenschaden" widmet er sich darin den Bahn-Suiziden und den Traumata der betroffenen Lokführer.
Jürgen Neitzel
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