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Schuss in Ofen


Nachtschicht-Crime-Serie lancierte Nullnummer als Farce

24.10.2010 (jnl)
Nach Klassikern, Musicals und Jungem Theater stand beim Hessischen Landestheater Marburg nun also auch ein Versuch an, Theater als Improvisation und Comedy zu fassen. Das Landestheater hatte für Samstag (23. Oktober) in seine "Black Box"-Studiobühne zur Nullnummer seiner Krimi-Nachtschicht-Serie eingeladen.
Die für 22 Uhr angesetzte Vorstellung begann mit einer akademischen Viertelstunde Verspätung. Das in der großen Mehrheit studentische Publikum ist es gewohnt, erst spät abends auszugehen.
Die rund 40 Besucher verteilten sich auf Sitzkissen und Bänke, die mitten im Saal standen. Rundum lagen diverse - mit weißen Klebestreifen markierte - Szenen-Bühnenbilder.
Den viel versprechenden Auftakt machte ein - auf eine Leinwand an der Stirnwand projezierter - Film-Trailer. Zunächst baute sich ein Leichen-Tatort-Umriss auf. In bekannter TV-Krimi-Manier blendeten sodann erläuternde Text-Elemente nach und nach ein.
Das Spotlicht schälte einen Stapel Umzugskartons aus dem Dunkel. Dahinter ließ sich eine Stimme vernehmen. Es handelte sich um den Kriminalassistenten Stefan Müller, der sich durch all die Kartons den Weg zum Chef-Schreibtisch bahnte. Eine Off-Stimme von der Beleuchter-Kanzel stellte die titelgebende Hauptfigur Uwe Peter Paminski (UWP) und seine beiden Untergebenen in Stichworten vor.
Assistent Müller (Tobias M. Walter) knallte eine Akte auf den Schreibtisch. Erst jetzt bemerkte er, dass sein Chef UWP gar nicht anwesend war.
Die ebenfalls im Büro eintreffende Polizei-Tippse Steffie Brüller (Oda Zuschneid) zeigte sich ebenso ratlos wie ihr Kollege. Es entspann sich ein etwas groteskes Duell zwischen dem - aus seiner Rolle heraustretenden - Schauspieler und dem etwas planlos wirkenden Nachwuchs-Regisseur Marcel Franken hinter dem Lichtpult.
Dabei ging es allein darum, wie man mit einer fehlenden Hauptfigur weiterspielen könne. Der Konflikt wirkte ernst, war aber doch nur fingiert.
Ablenkend kamen zwei weitere Mitspieler in den Lichtkegel. In weiße Ganzkörper-Überzüge gekleidet, verkörperten Johannes Hubert und Ögun Derendeli die beiden Männer von der Spurensicherung (SpuSi).
Ihre Vorstellungs-Filme fielen durch einen männlich-holzhammerartigen Humor auf. SpuSi-2 alias Derendeli wurde filmisch abgestempelt als von der Leiter gefallener Egomane, SpuSi-1 alias Hubert als Trickbetrüger, der das Spielen seines Basses nicht drauf hat. Tatsächlich hätte diesen E-Bassisten wohl kaum eine lokale Rockband akzeptiert.
Jemand warf die Beobachtung ein, dass der UWP-Darsteller Charles Toulouse ja gar nicht da sein könne, da er zeitgleich noch bei einer Aufführung von Effi Briest eine Hauptrolle spiele. Man schickte eine junge Frau mit dem Auto los, ihn schnellstmöglich herbeizuholen.
Zwischenzeitlich unterhielt man das etwas ratlos schauende Publikum mit dem Transport eines Gefangenen (Sebastian Muskalla) einmal rund um den Saal. Grotesk führten ihn die beiden Krimi-Hilfskräfte Stefan und Steffie in Handschellen und mit gezückten Pistolen zum Vorsingen bei der Polizei-Sozialarbeiterin (Barbara Kuch) vor.
Die ausgeschickte Botin meldete sich auf der Saal-Leinwand zurück mit angeblichen Live-Webcam-Bildern aus dem Fürstensaal. Dort sei gerade die Vorstellung zu Ende.
In ausschweifenden Interviews mit UWP alias Toulouse und Weiteren zerrte sie an den Nerven der "Black Box"-Insassen. Einige der UWP-Schauspieler schimpften lauthals. Das steigerte sich noch, als die Fahrgemeinschaft Toulouse auf der Fahrt später beim Sperrmüll-Ernten eingeblendet wurde.
Dieses Tohuwabohu überbrückte derweil die als Schauspieler-Personalrätin auftretende Annette Müller mit dem Zitieren von Arbeitsrechtlichem. Demnach seien einige gravierende Verstöße gegen die Regeln unterlaufen und die Schauspieler völlig überlastet.
Versüßt wurde dieses - für die Theaterbesucher eher verwirrende - Ungemach durch einen herrlich tiefsinnigen Nonsens-Vortrag von Müller zu minimalistischen Klavier-Untermalungen von Kuch. Erstaunlich war, wie sich die Hamlet-Heroine in Nullkommanix in ein Glamour-Kleid zu werfen verstand.
Als die zuvor voller Zorn erwarteten Darsteller gegen Ende der Aufführung doch noch eintrafen, empfing man sie jubelnd. Mit vorbereiteten Hütchen, Konfetti und Girlanden formierten sich 13 - an dieser "Nachtschicht" mitwirkende - Personen zu einem Willkommens-Lied für UWP nach der Melodie von "Old Aquaintance". Der Konflikt war also von Beginn an vorausgeplant gewesen.
Das Fazit der Vorstellung ist, dass dem bei allen Premieren anwesenden Intendanten Matthias Faltz von seinem Ensemble indirekt nahegelegt wurde, diese "Nachtschicht"-Krimi-Idee doch möglichst fallenzulassen. Das Ensemble mag das improvisatorische Comedy-Format nicht und fühlt sich mit der Vielzahl von Proben und Aufführungen ohnehin schon überlastet. Man wird sehen, ob er darauf eingeht.
Eigentlich wäre ein Fallenlassen dieses Formats schade. Marburg bietet lokal genügend comedy-geeignete Konfliktstoffe, um einen pikanten Fortsetzungs-Plot zu würzen.
Da ist das privatisierte Klinikum, die drei Sexualstraftäter, die im Stadtwaldviertel für Aufregung sorgten, der Bahnhofsumbau Marburg21 und die alltägliche Polizeistatistik. Mit "Kottan ermittelt" gibt es einen Humorkrimi-Vorläufer, bei dem man viele Ideen borgen könnte.
Aber auf die Bühne gebrachte Comedy beruht nahezu immer auf Geschriebenem. Ohne kreative Köpfe, die für zündende Skripte sorgen, haben die Zuschauer wenig Grund zum Lachen und dafür Schlange zu stehen.
Ein Ensemble, das sich ohnehin überlastet fühlt, kann das nicht improvisatorisch stemmen. Das Publikum bleibt weg, wenn die Mischung aus Parodie und Anspielungen nicht stimmt. Der Intendant muss dringend Entscheidungen treffen.
Jürgen Neitzel
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