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Solider Klassiker


Mit Effi Briest huldigte das Landestheater der Tradition

17.10.2010 (jnl)
Kann das in seinen Ausrichtungen und tragenden Personen veränderte Ensemble des Hessischen Landestheaters auch seine konservativen Stammbesucher voll befriedigen? Die Antwort darauf gab am Sonntag (17. Oktober) im Fürstensaal des Landgrafenschlosses mit "Effi Briest" die zweite Klassiker-Premiere der neuen Spielzeit.
Mit einer grundsoliden, "werktreuen" Aufführung verwöhnte man die 50+-Generation, die das Gros des Publikums an diesem Abend ausmachte. Die rund 120 Theaterbesucher hatten von ihren sanft ansteigenden Tribünen zu beiden Seiten der Bühne einen ausgezeichneten Blick auf das Kammerspiel.
Die moralisch-kritische Geschichte von den harten Folgen ehelicher Untreue kam in einer wunderbar klaren, musikalisch angereicherten Inszenierung daher. Die gediegen gelungene Bühnenfassung hatte die Regisseurin Kerstin Weiß selbst nach Theodor Fontanes Roman erstellt. Gestrafft auf sieben Darsteller und eine Musikerin, spielte man - ohne eine Pausenunterbrechung zu machen - 105 kurzweilige Minuten.
Mit jugendlich-sportlichen Streichen und Sprüngen wird die 17-jährige Effi in einer Eingangsszene vorgestellt. Ein Brief, den ihr die Mutter mit sichtlich gemischten Gefühlen übermittelt, enthält den Heiratsantrag des 38-jährigen Landrats Baron Geert von Instetten. Claudia Mau als Mutter - mit streng hochgestecktem Haar und sehr abgezirkelten Bewegungen und Äußerungen - machte viel aus ihrer Nebenrolle.
Die noch sehr unerfahrene Effi fügt sich - obwohl sie ihn weder kennt, noch liebt - in die arrangierte "gute Partie". Der große Abstand zu ihrem Angetrauten wird schon auf der kurz in einer Szene angedeuteten Hochzeitsreise deutlich. Instetten geht - in sein Reiseführer-Buch vertieft - immer fünf Schritte vor seiner frisch gebackenen Ehefrau.
Im Landratshaus von Kessin, in das man einzog, spukt angeblich das Gespenst eines Chinesen. Effi hat deswegen Albträume. Als sie Rat sucht, stellt sich heraus, dass dieser "Spuk" wahrscheinlich mit Wissen Instettens inszeniert wird, um sich gesellschaftlich interessanter zu machen.
Die Akkordeonistin Beata Jatzkowski - im Bühnenhintergrund immer präsent - unterlegte musikalisch äußerst eindrucksvoll die inneren Gemütszustände ebenso wie die passenden Geräusche.
Der ehrgeizige preußische Staatsbeamte Instetten hat wenig Zeit für Privatleben mit seiner Frau. In der Provinz-Gesellschaft langweilt sie sich.
Die erlebnishungrige Effi lässt sich auf eine Affäre mit dem Charmeur Major von Crampas ein. Oliver Schulz als Crampas bot eine stattliche Erscheinung, deren Rolle aber nicht sehr ausgespielt wird.
Die Gestalt der freiberuflichen Sängerin Marietta Tripelli, der ihm Roman nur wenige Sätze galten, ist von der Regisseurin stark aufgewertet hineingenommen worden. Eingeführt als kokette Begleiterin von Crampas, darf sie zwei Lieder von Franz Schubert - "Röslein auf der Heide" und "Erlkönig" - vortragen.
Die nicht zum Ensemble gehörende Jana Degenbrodt sang ganz exzellent. Die damit geleistete musikalische Bebilderung der Gemütszustände Effis brachte einen hoch verdienten Szenenapplaus.
Nach Jahren fliegt die wegen Umzugs nach Berlin längst beendete eheliche Untreue wegen nicht weggeworfener Liebesbriefe auf. Instetten wird in einer Szene laut denkend mit einem inneren Monolog gezeigt, welche Wahlmöglichkeiten ihm in dieser Lage bleiben. Wären da nicht die Risiken, seine Karierre zu gefährden, könnte er vielleicht auch einfach darüber hinweggehen.
Charles Toulouse als Instetten verkörperte bravourös einen zurückgenommenen, in seiner emotionalen Intelligenz steifen Karrieristen. Gemessenen Schrittes und mit stets gut kontrolliertem Mienenspiel gab er die Figur nicht unsympathischer als nötig.
Als gestrenger Moralwächter fordert er Crampas zum Duell und tötet ihn dabei. Die feminin dominierte Inszenierung spielt das nicht weiter aus. Gleichfalls trennt Instetten sich von der "Ehebrecherin" und nimmt ihr vollkommen den Umgang mit dem gemeinsamen Töchterchen.
An dieser Trennung von ihrem Kind zerbricht Effi innerlich. In einem bewegenden Vortrag nimmt sie die Schuld des Ehebruchs auf sich, klagt aber diese grausame Trennung von ihrer Tochter als überzogen an. Nur die Dienerin Roswitha - gekonnt und unaufdringlich von Gergana Muskalla verkörpert - blieb immer bei ihr.
Erst nach Jahren, als Effi über dieser Trauer ernstlich krank geworden ist, ringen sich zumindest die Eltern dazu durch, ihre Verbannung aufzuheben und sie zu sich einzuladen. Der strenge gesellschaftliche Moralkodex im Preußen des 19. Jahrhunderts strafte alle mit Isolation, die nicht mitzogen.
Jürgen Helmut Keuchel als Vater Briest gab sich altersmilde und drückte sich mit der wiederholt ganz unparodistisch vorgetragenen Formel "Das ist ein weites Feld" vor stärkerer Einmischung. Erst ganz zuletzt übermannen ihn väterliche Gefühle.
Die extra für diese Inszenierung engagierte - sonst nicht dem Ensemble angehörende - Schauspielerin Sigrid Dispert verkörperte äußerst glaubwürdig die Hauptrolle der Effi. Ihre von innen her strahlende Freude, Angst, Neugier und Zuversicht trugen emotional die Aufführung über weite Strecken.
Die Inszenierung schloss einen Bogen zu ihrer Eingangsszene, indem die gestorbene Effi noch einmal über die Bühne springt und auf ihrer hohen Leiter - symbolisch im Himmel - Platz nimmt.
Das mit drei langen Kommoden voller Schubladen und einer Leiter sowie einer künstlichen Wand auskommende Bühnenbild von Tilo Steffens lenkte niemals vom Wesentlichen ab. Aus diesen Schubladen holten die Darsteller das Kaffeeservice wie das verräterische Bündel Liebesbriefe im Handumdrehen.
Alle Auftritte und Abgänge der Schauspieler erfolgten in fliegendem Wechsel. Zusammen mit der großartigen musikalischen Untermalung ergab das Ganze eine gleichsam schwerelose Atmosphäre. Das Publikum war sehr angetan und lohnte die ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen mit lang anhaltendem Schlussapplaus.
Jürgen Neitzel
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