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Diskutierendes Theater


Konkurrenz und Kooperation in der Marburger Szene

03.10.2010 (jnl)
Mit namhaften Sachkennern besetzt fanden erstmals in Marburg "Hessische Theatergespräche" statt. Intendant Matthias Faltz hatte am Samstag (2. Oktober) im Foyer des Theaters am Schwanhof drei Vertreter der soziokulturellen Bühnen-Szene zu Gast. Es ging um das Thema "Frei oder nicht frei - steht das Stadttheater-System im Wettbewerb mit der freien Szene?“
Vor einem kleinen Kreis interessierter Bürger tauschten der neue Intendant des Hessischen Landestheaters und die allesamt langjährig aktiven Protagonisten der "Freien Szene" ihre Sicht der Lage aus. Moderiert wurde das öffentliche Fachgespräch von Prof. Dr. Wolfgang Schneider von der Universität Hildesheim. Er hat die bundesweit einzige Professur für Kulturpolitik inne, wohnt aber nach wie vor im hessischen Hofheim im Taunus.
Faltz gab sich nachdenklich, von Wiesbaden her kenne er eine Melange mit freien Anbietern, wie sie für Marburg typisch sei, eigentlich nicht. Dort gebe es nur das Staatstheater. Er fände diese Ausgangslage aber spannend und für das Kulturleben bereichernd. Nicht zuletzt gelte immer noch: "Konkurrenz belebt das Geschäft".
Er versicherte ernsthaft, dass sein Landestheater keine Formate anbieten wolle, die von anderen Anbietern schon gut abgedeckt seien. Das gelte etwa für Kabarett, wo der Kulturladen KFZ sehr gut aufgestellt sei, ebenso wie für Konzerte.
Der kampfeslustige Moderator legte ein Veto ein. Seine Forschungen zeigten, dass nicht Klassiker-Dramen sondern überwiegend Musical-Formate beim Landestheater gebucht würden. Aus Erfahrung schätze er es so ein, dass ab der zweiten oder dritten Spielzeit spätestens auch direkt konkurriende Kabarett- und Konzertangebote von den staatlichen Bühnen angeboten würden.
Gero Braach - Geschäftsführer des KFZ - warf ein, dass man von einer generell veränderten Bedürfnislage des Publikums ausgehen müsse. Stillsitzen und Schauen müssten die potenziellen Theater-Besucher schon beruflich und privat vor den Computer-Bildschirmen reichlich. Daher suchten sie, wenn sie ausgingen eher den Kontrast dazu. Bei Konzerten oder Tanzveranstaltungen fänden sie passendere, bewegungsorientierte Formate.
Als ehemaliger Sprecher des "Landes-Arbeitskreis Soziokultur" (LAKS) kam er auf Zahlen aus dem hessischen Landeshaushalt zu sprechen. Allein 52 % der Landeeskulturausgaben erhielten die drei Staatstheater Kassel, Darmstadt und Wiesbaden. Die für das Jahr 2011 geplanten Kürzungen des Kommunalen Finanzausgleichs um rund 400 Millionen Euro würden die hessischen Kommunen und Landkreise schwer treffen. Das werde auf ihre Ausgaben für Kultur schlimm durchschlagen.
Angelika Sieburg als Vorsitzende des Landesverbandes professionelles freies Theater Hessen freute sich, dass dieses Podium ein Zusammentreffen der staatlichen und der freien Szene "auf Augenhöhe" zeige. Das sei vor Jahren noch undenkbar gewesen.
Ihre Interessenvertretung repräsentiere 280 freie Gruppen und 180 Einzelkünstler. Alle zusammen bekommen vom Land Hessen jährlich nur 49.000 Euro Förderung. Kompliziert sei zudem, dass der "Fonds Darstellende Künste" nur dann Projekte bezuschusse, wenn auch Land und Stadt förderten.
Rolf Michenfelder vom Marburger freien Theater "German Stage Service" äußerte die Einschätzung, dass die Bedingungen in Hessen für die "Freien Theater" weitaus schlechter seien als in anderen Bundesländern. Auch Kooperationen gäbe es daher nur wenige. Die eigene Zusammenarbeit mit dem Gießener Löbershof sei vor Jahren an finanziellen und technischen Kapazitätsengpässen gescheitert.
Siebert ergänzte, in Darmstadt habe es mal das übergreifende Projekt "Cutting Edge" gegeben. Im Bereich Kinder- und Jugendtheater sähe die Lage etwas besser aus. Hier gebe es bewährte Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Theatern und Schulen oder die Hessische Kinder- und Jugendtheaterwoche als zentrales Festival, das vom Marburger Landestheater organisiert werde. Wünschenswert seien aber bessere Finanzierung theaterpädagogischer Arbeit. Das Modell der Stadt Halle sei beispielhaft.
Der Moderator fasste zusammen, dass bei der Öffnung der Staatlichen Theater zu der freien Szene in Hessen noch reichlich Entwicklungsbedarf bliebe. Die staatlichen Budgets für Theater seien nach wie vor auf Institutionen statt auf Produktionen ausgerichtet. Das Aufeinanderzugehen der Aktiven sei existenziell. Vielleicht könne man gegen Ende der Spielzeit schon gemeinsam ein erstes Fazit der Veränderungen ziehen, sagte Schneider zu Faltz.
Zu der nächsten Veranstaltung der Reihe "Hessische Theatergespräche" am 24. November wiederum im Theater am Schwanhof lud er alle Interessierten ein. Zugesagt habe dafür die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Eva Kühne-Hörmann.
Jürgen Neitzel
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