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Ein haariger Fall


Ein Friseur als Detektiv an der Universität

30.09.2010 (jnl)
Der Krimi-Boom macht sogar einen Friseur als Detektiv möglich. Der Schriftsteller Christian Schünemann stellte am Mittwoch (29. September) im Technologie- und Tagungszentrum (TTZ) seinen dritten Roman mit diesem Ermittler vor.
"Die Studentin" handelt indes nicht, wie man vom Titel her erwarten mochte, vornehmlich von amourösen Abenteuern im Universitätsumfeld. Ein weiterer Roman über Professoren, die sich gute Benotungen durch sexuelle Gunst abkaufen lassen, wäre auch nicht gut gekommen.
Der im Jahr 2009 erschienene Kriminalroman widmet sich stattdessen dem Konkurrenzkampf der Lehrenden um ihre Karrieren. Wie es im Krimi-Genre üblich ist, bleibt es aber nicht beim Mobbing, sondern geht eben nicht ohne Leiche ab.
Schhünemann las fünf Passagen, in denen die Figuren vorgestellt wurden und die Vorgeschichte des Mordgeschehens sich entwickelte. Wie es der Zufall will, gehört ein Privatdozent, der Professor werden möchte, zu den Stammkunden des Friseur-Detektivs Thomas Prinz.
Die Titelfigur ist das Mädchen Rosemarie, das als "Au pair" aus Großbritannien in die Familie der Schwester des Münchner Friseurs gekommen ist. Aus Langeweile schreibt sie sich kurzerhand nebenher für ein Anglistik-Studium ein.
Der Münchner Autor machte aus seiner Verachtung für akademische Regeln und Gepflogenheiten keinen Hehl. Die Erstsemesterin Rosemarie bekommt holterdipolter einen Job als studentische Hilfskraft.
Einem Computerviren-Anschlag auf Rosemaries Professorin darf daher der Schwager des Amateur-Ermittlers Prinz anstatt der zuständigen Uni-Fachleute nachspüren. Derartige Unwahrscheinlichkeiten häufen sich.
Immerhin ist das Geschehen dadurch ziemlich aktionsreich und turbulent. Schünemann ließ die Lesung in einen klassischen, spannungsträchtigen "Cliffhanger" münden. Ist es Rosemaries Professorin, die da tot am Boden liegt?
Ganz im Gegensatz zu der Nachlässigkeit in der Skizzierung des Schauplatzes Universität legte Schünemann größte Akkuratesse in der Beschreibung der Kunst des Frisierens an den Tag. Mit dem Münchner Starfriseur Ulrich Graf und dessen Farbstylistin besprach er schon im Vorfeld des Schreibens alle Finessen der Frisiertechnik und des fachlichen Vokabulars, räumte er ein.
Die Schilderungen der Frisuren nehmen in Schünemanns Romanserie verhältnismäßig großen Raum ein. Wer sein Wissen über die Kniffs und Philosophien von Haarstylisten erweitern möchte, ohne trockene Fachbücher zu Rate zu ziehen, ist mit diesen Romanen gut beraten.
Der in die Veranstaltung einbezogene Marburger Friseurmeister Michael Oehler bestätigte das hohe friseurtechnische Niveau der Schünemann-Romane. Als werbewirksame Show seines Könnens bot er zeitgleich zur Autorenlesung vier Damen aus dem Publikum eine kostenlose Neugestaltung ihrer Frisuren. Sein Einfallsreichtum und seine Schnelligkeit wurden belohnt von strahlenden Gesichtern der Beglückten.
In der Fragerunde gab Schünemann Auskunft zu vielen Hintergründen und Details seines Autorenlebens. Nach dem Slawistik-Studium machte er eine Journalisten-Ausbildung. Für ein halbes Jahr war er Redakteur der Frauenzeitschrift "Cosmopolitan". Dann entschied er sich, als freier Autor zu arbeiten.
Sein Debütroman "Der Frisör" erschien 2004. Er spielte in der Frauenzeitschriften-Szene.
Erst vier Jahre später kam der zweite Band heraus, der in der Welt des Kunsthandels angesiedelt war. Dazwischen widmete sich Schünemann erfolgreich dem "Storyline"-Schreiben für "Daily-Soap"-Fernsehserien.
Die Serie "Verliebt in Berlin" wurde ebenso von ihm mitgestaltet wie die weiterhin laufende Seifenoper "Verbotene Liebe". Er war überwiegend zuständig für die Szenen-Dramaturgie. Die Dialoge besorgten extra dafür zuständige Spezialisten.
Die Hektik dabei sei atemberaubend, meinte er. Jeden Tag müsse eine neue Folge fertig werden.
Schünemann beschrieb den steten Wechsel von der streng regelementierten Welt der Produktion fürs Fernsehen zur großen Freiheit und Einsamkeit der schriftstellerischen Existenz als für ihn optimal. Anfangs habe er geglaubt, das parallel zu können. Heute trenne er streng zwischen diesen beiden sehr verschiedenen Welten.
Überraschend berichtete er, dass Aljoscha von vielen Lesern als Lieblingsgestalt der Romane genannt werde. Dabei handelt es sich um die Figur des - überwiegend gar nicht anwesenden - Geliebten der Hauptfigur.
Der vierte Roman der Friseur-Serie ist übrigens schon fertig geschrieben. Er wird im Januar 2011 herauskommen.
Schauplatz wird diesmal die Sphäre der Soap-Produzenten sein. Da kennt sich Schünemann bestens aus.
In der längst unüberschaubar gewordenen Krimi-Landschaft mit einem originellen Ermittler hervorzutreten, ist Schünemann durchaus gelungen. Mit Thomas Prinz hat er eine verkaufsträchtige - aber nicht besonders logische - Figur geschaffen.
Aber die Leser - überwiegend werden es Frauen sein - fordern von diesen "Soap-Krimis" vermutlich nicht Realismus, sondern einfach nur turbulente Unterhaltung. Die bekommen sie geboten.
Jürgen Neitzel
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