26.09.2010 (jnl)
Mit Karl Valentin erlebte Liesel Karlstadt ihr blaues Wunder. Die Premiere des Liesel-Karlstadt-Abends "Himmel Hölle Valentin" von Peter Siefert am Samstag (25. September) auf der "Bühne" Am Schwanhof war fast ausverkauft. Eine echte musikalische Satire oder Komiker-Vorstellung aber war es mitnichten.
Gezeigt wurden nicht Stationen einer verqueren Beziehungsgeschichte, sondern eine lose Szenenfolge typischer Valentinscher Sketche. Jene, die ihn berühmt gemacht haben, waren allerdings überwiegend nicht dabei.
Zusammengehalten wurden die Spielszenen durch Einblendungen von chronologischen Orts- und Zeitangaben. Eine - ins derb Sexuelle abgleitende - Kennenlern-Geschichte wurde kontrastiert mit etlichen ausgespielten Ehe-Dramoletten.
Wohl waren Karlstadt und Valentin erotisch verstrickt miteinander, aber der Volkskomiker verließ nie wegen ihr Ehefrau und Kinder. Das bereitete Karlstadt beträchtlichen Kummer.
Dennoch währte ihre "Ehe-ähnliche Arbeitsbeziehung" bis 1938 lange 27 Jahre. Erst dann verließ die Schauspielerin den Komiker doch noch.
Als Karlstadt Mitte der 30er Jahre einmal - ernsthaft erkrankt - im Hospital lag, schrieb Valentin ihr rührende Briefe. Sie sei für ihn unersetzlich und die Freude seiner Tage, ließ er sie wissen.
Tatsächlich wurde sie wieder gesund. Am Ende überlebte sie ihn um zwölf Jahre.
Eine bewegende Spielszene zeigte Karlstadt, die wegen eines Umzugs ihren Sittich aus dem Käfig freilässt. Der Vogel soll den Weg selber finden.
Stand das nicht metaphorisch hintersinnig für ihre Freilassung aus der unerfüllten Liebesbeziehung zu Valentin? Oder war es auch nur ein Stück absurdes Theater über die ureigene Dummheit der Menschen?
Außer Beispielen dieser überaus produktiven - aber konfliktreichen - Zusammenarbeit erfuhren die Zuschauer von Auftritten in Gasthäusern, im Rundfunk und in den Münchner Kammerspielen. Als die beiden 1935 ihr eigenes Kleinkunst-Theater aufmachten, scheiterte dieser "Gruselkeller" - wie sie selber ihr Theater nannten - an mangelndem Zuspruch des Publikums.
Auch das vorliegende Theaterstück von Autor und Regisseur Siefert machte weniger Freude als erwartet. Die Konzeption des Nummern-Dramas trug nicht wirklich. Die Auswahl wenig bekannter und nicht gerade peppiger Szenen krankte an fehlendem Instinkt für Komik.
Das, was das Publikum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lachen ließ, funktionierte rund 80 Jahre später so nicht mehr. An den beiden Schauspielern lag das nicht unbedingt.
Der Valentin-Darsteller Rainer Kühn verblüffte durch seine große Wandlungsfähigkeit und rasante Kostümwechsel. Nicht nur besaß er exakt die bekannte spindeldürre Gestalt; auch die Bewegungsmuster und die verbale Bissigkeit des Originals waren gut abgeschaut.
Die Schauspielerin Monika Kroll gab eine äußerst kiebige und kämpferische Karlstadt. Auch wenn sie meistens den unterlegenen Part spielte, war sie nie um schöne Grimassen und spitzzüngige Widerworte verlegen.
Berührend waren ihre kleinen Gesänge, die den nie aufgegebenen Traum vom guten, gelingenden Leben beschworen. Auch sie zeigte sich in vielfältigsten Gesichtern und Kostümen als eine wahre Verwandlungszaubererin.
Wo bitte geht es zum angekündigten Feuerwerk? So hatte eine Eingangsfrage zu Beginn des Stücks gelautet.
Eine Stafette zündender Komik und Satire hätte man gerne erlebt. Tatsächlich reichte es jedoch nur zu einem mittelprächtigen - von den Schauspielern getragenen - Theaterabend.
Szenenapplaus gab es nur spärlich. Der Schlussbeifall des Premierenpublikums war dennoch freundlich und reichte für immerhin fünf "Vorhänge". Die Marburger mögen ihr Theater offenkundig wirklich.
Jürgen Neitzel
Text 4522 groß anzeigenwww.marburgnews.de