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Ausgesprochen wegbereitend


50 Jahre Marburger Volkskunde-Institut

25.09.2010 (jnl)
Das Institut für Europäische Ethnologie (EE) feierte sein 50-jähriges Bestehen. Mit einem reizvoll gestalteten Festakt in der Alten Aula zeigte man am Freitag (24. September) Präsenz. Zugleich war die Veranstaltung Auftakt für eine Tagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (DGV).
Mit einem Grußwort der Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause eröffnete das festliche Geschehen. Auch der Studiendekan des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften sowie der wegen "Stuttgart21"-Staus verspätet eingetroffene DGV-Vorsitzende Prof. Dr. Reinhard Johler hielten kurze Ansprachen.
Johler nannte die Volkskunde ein Fach unter permanenter Selbstkritik. Er belegte das mit den Tagungsthemen der DGV seit 1994. Das Marbuger Institut habe da schon immer eine wichtige Wegbereiter-Rolle gespielt.
Wie schon der Gründervater der Marburger Europäischen Ethnologie 1965 beschrieben habe, seien DGV-Tagungen wissenschaftliche Familientreffen, auf denen die drängenden Entwicklungsprobleme der Volkskunde erörtert werden. Die Wirkungen des Bologna-Prozesses etwa bereiteten Sorgen.
Mit einem scharfsinnigen, wegweisenden Vortrag eröffnete der Marburger Emeritus Prof. Dr. Martin Scharfe inhaltlich den DGV-Kongress. Unter dem Thema "Garen, Gehen Gären - Zur Metaphorik des Umbruchs" brachte er spannende, kritische Thesen zum Kongressthema "Umbruchzeiten" vor.
Besonders warnte Scharfe davor, mit dem eitlen Etikett des "Umbruchs" einer Selbsttäuschung zu unterliegen. Eine Umwälzung selber sei eher langweilig. Nur die Latenz sei spannend.
Mit Metaphern aus den Handwerken des Bäckers und des Winzers verwies er darauf, dass man sich Zeit nehmen müsse, um etwas Gutes wie Brot und Wein herauszubekommen. Die Prozesse des Gärens und Reifens seien unterschätzt.
Daran anschließend startete Prof. Dr. Karl Braun mit einem Zeitreise-Vortrag zur Geburtsstunde des Marburger Volkskunde-Instituts. Er stellte zunächst klar, dass es 1960 - rund zehn Jahre nach der Gründung der beiden deutschen Staaten - keineswegs eine Zerknirschung über die NS-Verstrickung des Faches gegeben habe.
Braun beschrieb die Lage der Volkskunde im Gründungsjahr des Marburger Instituts als selbstmitleidig und vom kalten Krieg geprägt. Zwar habe man an einem gemeinsamen Verband mit ostdeutschen Fachvertretern festhalten wollen, aber die ostdeutschen Kollegen nicht einmal eingeladen und informiert.
Sogar in Zeitungs-Interviews habe man das hinterher unzutreffend dargestellt. Erst spätere Nachforschungen hätten da manches aufgedeckt.
Zugleich habe man im Westen dem fachwissenschaftlichen Nachwuchs damals keine Perspektiven bieten können. Es gab zwar Vertreter des Fachs an den meisten westdeutschen Universitäten, aber nur vier Professuren. Da die ostdeutsche Akademie der Wissenschaften Stellen und Geld hatte, warb sie die besten Nachwuchskräfte ab.
Institutsgründer Prof. Dr. Gerhard Heilfurth habe eine echte Wendung herbeigeführt. Den damaligen Verband der Volkskundevereine habe er zum - heute noch bestehenden - DGV umgewandelt.
Sein Marburger Institut habe er klar von der politisch anbiederischen Vertriebenen-Volkskunde abgegrenzt. Von Heilfurth und seinen Mitarbeitern wurden neue Ausrichtungen vorgenommen, die sich als zukunftsweisend erwiesen.
Statt der herkömmlichen Fragen nach Herkunft und Ursprung habe man eine Nähe zu europäisch inspirierten "cultural" und "social anthropology"-Ansätzen aufgebaut. Dass Heifurth damals die Zustimmung der westdeutschen Fachkollegen fand, stellte Braun vielsagend in Frage.
Die erfahrene Fachwissenschaftlerin Ingeborg Weber-Kellermann konnte Heilfurth in Ostberlin abwerben. Sie entwickelte unter anderem die fachinterne Interethnik. Fred Foltin begründete in Marburg eine fernsehwissenschaftliche Linie innerhalb des Faches.
Im zweiten Teil der Festveranstaltung wurden zwei - speziell für diesen Anlass neu erschienene - Bücher vorgestellt. Zwei Studierende stellten das beachtliche Resultat eines Lehrforschungsprojekts vor.
Das Lesebuch "Marburg 1960 bis 2010 - Streifzüge durch die jüngere Stadtgeschichte" ist eine materialreiche Mini-Enzyklopädie der jüngsten Kommunalhistorie. Zahlreiche Stichworte und Bilder laden zu Querlesen und historischer Rekapitulation ein.
Ein Exemplar wurde an Kulturamtsleiter Dr. Richard Laufner überreicht. Er betonte, dass die Kooperation zwischen der Stadt Marburg und dem Institut fruchtbar und kontinuierlich sei. Im Jahr 2009 etwa habe die Stadt zum Brüder-Grimm-Jahr mehrere Ausstellungen mit dem Volkskunde-Institut gemeinsam verwirklicht.
Stolz präsentierte Mitherausgeberin Antje van Elsbergen die ersten 25 Vorab-Exemplare einer Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Instituts. Unter dem Titel "Ansichten, Einsichten, Absichten - Beiträge aus der Marburger Kulturwissenschaft" haben 25 ehemalige Lehrende des Instituts Aufsätze beigesteuert.
Die - anhand der verlesenen Überschriften erkennbare - thematische Bandbreite der Ansätze war wirklich beeindruckend. Der Gründung des Fördervereins der Marburger kulturwissenschaftlichen Forschung und Europäischen Ethnologie (MakuFEE) wurde für die Finanzierung des Bandes und weiterer künftiger Projekte große Bedeutung zugesprochen.
Der Abend ging danach in der nahen Gastwirtschaft "Fünf Jahreszeiten" in den informellen Teil über. Dort konnten die Tagungsteilnehmer im Gespräch ihre fachlichen und persönlichen Bekanntschaften erneuern und vertiefen.
Am Samstag (25. September) stehen sieben Fachvorträge auf dem Programm. Eine Kurzfilm-Präsentation zeigt die Ergebnisse eines Ideenwettbewerbs zum Institutsjubiläum. Für Sonntag (26. September) sind zwei Podiums-Diskussionen angesetzt.
Jürgen Neitzel
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