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Diabolisch schön


Das Grusical "The Black Rider" gelang phantastisch

19.09.2010 (jnl)
Mit dem sinnlich opulenten Musiktheater "The Black Rider" gelang dem neuen Intendanten des Hessischen Landestheaters als Regisseur ein großer Wurf. Die Erstaufführung am Samstag (18. September) in der Stadthalle rief beim Premierenpublikum fast einhellig Begeisterung hervor.
Bereits beim Betreten des Theatersaals wurde klar, dass diesmal nichts war wie gewohnt. Die Zuschauer fanden sich auf ein Podest auf der Bühne platziert. Der komplett leergeräumte Saal einschließlich der Empore war zu einer riesigen Bühne umfunktioniert. Eine Rampe zur Bühne hinauf ermöglichte den Akteuren, auch ganz nah zum Publikum vorzustoßen.
Die zugrundeliegende Schauergeschichte ist einfach genug. Ein junger Schreiberling wirbt um die Hand der hübschen Försterstochter. Sie ist ihm zugetan. Doch ihr Vater verlangt, dass ein Schwiegersohn ein richtiger Kerl sein und auch im Jägerhandwerk etwas geleistet haben müsse.
Erbförster Bertram verlangt, dass der junge Wilhelm sich als Schütze beweisen muss. Da er in diesem Metier untalentiert ist, geht er einen Teufelspakt ein, um die Prüfung zu bestehen. Er verschafft sich daher von der diabolischen "Stelzfuß" magische Kugeln, die ihn immer treffen lassen.
Nur kann das nicht auf Dauer gut gehen. Im Vertrag mit dem Dealer steht auch, dass ein Preis zu zahlen ist. Die letzte Kugel leitet der Munitionslieferant selber ins Ziel. Tödlich getroffen wird davon ausgerechnet die strahlende Braut.
In einer lockeren Szenenfolge wurde diese Handlung vom Regisseur Matthias Faltz entfaltet. Kurze Dialogszenen wechselten mit Songs und ausgedehnten Choreographien. Nach Art des epischen Theaters von Bertolt Brecht hielten Akteure gelegentlich Ansprachen direkt ans Publikum.
Die Szenen mit der Familie der Braut wurden relativ hell und freundlich ausgeleuchtet. Hingegen tauchten die Scheinwerfer den innerlich zerrissenen Wilhelm und seine Begegnungen mit Stelzfuß in düstere Farbnuancen.
Wenn er sich mit seiner Flinte am Gemetzel des Wildes begeisterte, wurde die Lichtführung durch reichlichen Kunstnebel gänzlich gespenstisch. Die Lichtdesigner René Liebert und Andreas Mihan leisteten große Arbeit.
Im Kern geht es in dem surrealen Gruselstück um das hin und hergerissene Innenleben des jungen Wilhelm. Sein erratisches, sprunghaftes Handeln ist nur der Ausdruck dieser Jugendwirrnis aus Traum und Wirklichkeit.
Der Griff zu leistungsteigernden Drogen scheint ihm alternativlos, um die geforderte Leistung erbringen zu können. Im bürgerlichen Sinne kann er damit zuletzt nur scheitern. Schön ist allerdings, dass das im Stück nicht gesagt, sondern tatsächlich gezeigt wird.
Die insgesamt zwölf Schauspieler zeigten ein hoch dynamisches, körperbetontes Spiel. Gerade jene, die die abgeschossenen Tiere und Geister darstellten, trugen viel zum Gelingen bei. Alle Darsteller steckten in großartig stilisierten Kostümen.
Bravourös gestalteten "Stelzfuß" Oda Zuschneid und "Wilhelm" Sven Mattke ihre anspruchsvollen Hauptrollen. Auch die etwas rätselhaft bleibende Gestalt des "Impresario" Sebastian Muskalla mit seinem stechenden Blick blieb nachdrücklich im Gedächtnis. Die Braut "Käthchen" Gergana Muskalla glänzte mit Liebreiz und einer Verführungsszene, die tragikkomisch ausging.
Von der Musik ist noch zu reden. Ganz oben rechts hatten die neun Musiker ihren festen Platz. Mit Instrumenten von Kontrabass bis Fagott, eingespielten Geräusch-Samples und singender Säge schufen sie eine adäquate Sound-Grundlage für die emotionale Wirkung der Bilder und Songs. Das Ganze stand in der Tradition eines Kurt Weill und hatte die gehörige Wucht, die so ein Stoff braucht.
Die singenden Darsteller zeigten sich dem hoch abwechslungsreichen Songmaterial von Tom Waits glänzend gewachsen.
Oder war der Gesang doch Playback? Wer weiß das schon - und muss man das überhaupt wissen?
Bereits unter Vorgänger Ekkehard Dennewitz sollte das Stück als Gastspiel nach Marburg kommen. Nun hat es der neue Intendant selber eingerichtet.
Faltz hat einen großen Wurf gewagt und gewonnen. Mit großem, bildmächtigem Theater wie diesem kann und sollte es gelingen, gerade auch junges Publikum anzulocken und zu faszinieren.
Wenn sich die Studierenden der Philipps-Universität die Theaterkarten leisten können, werden sie wohl kommen. Das gleiche gilt für die Schüler.
Die heikle Nachwuchsfrage für die Publikumsbasis des Theaterbetriebs wäre beantwortet. Die Gruppe der Marburger Theaterfreunde wird vermutlich wachsen. Diese Premiere vermittelte - ebenso wie die vorherige mit "Hamlet" - am Freitag (17. September) eine echte Aufbruchsstimmung.
Jürgen Neitzel
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