14.09.2010 (jnl)
Die Schweiz bescherte der Marburger Literaturszene ein Glanzlicht. Zu Gast war am Montag (13. September) in der Buchhandlung Elwerth der Schriftsteller Alex Capus.
Ganz außergewöhnlich gestaltete dieser 49-jährige Paradiesvogel aus der Kleinstadt Olten südlich von Basel die angekündigte Autorenlesung. Er legte los und erzählte mehr als 30 Minuten lang frei über die verflixte Ungleichung zwischen Dichtung und Wahrheit.
Die rund 50Zuhörer hingen gebannt und strahlend an seinen Lippen und waren völlig fasziniert. Ab und zu blickte der freundlich grinsende Schelm auf seine Uhr und murmelte halblaut "50 Minuten". Dann blinzelte er die Veranstalter an und fuhr ungerührt fort im Fabulieren.
Erst auf die letzten 15 Minuten nahm er zwei seiner Bücher vor und gab auch Kostproben seiner aufgeschriebenen Erzählkunst. Die Erlebnisse eines Kleinstadtpolizisten in New York und die Erzählung "Madame Alice" zeigten im übrigen ebenso den leichten Ton, die unaufdringliche Komik und Skurrilität, die ihn auch in freier Rede auszeichnete.
Die Gestalt der 70-jährigen Alice ist ein Frauen-Portrait, das man genauso wenig vergessen wird wie Pippi Langstrumpf. Diese alte Dame hat ein Dutzend Verehrer, die alle - unabhängig voneinander - regelmäßig zu einem Jour Fixe bei ihr zu Gast sind.
Das ist ebenso wie ihre nebenbei erzählte Lebensgeschichte vom Bauernkind zur Lebenskünstlerin ein Modell-Beispiel gelingenden Lebens, wie sich Leser das nur wünschen können. Dabei lebt kaum irgend jemand so wie diese schlaue Frau. Aber man fragt sich doch unversehens, warum eigentlich nicht?
Es verhält sich wirklich so, wie der Leiter der Elisabethschule Tobias Meinel in seiner Begrüßungsrede herausstrich: "Capus hat sein eigenes Genre geschaffen. Wie ein Vexierbild changiert es zwischen Fiktion und Wirklichkeit."
Für die gesponserte Ermöglichung dieser eintrittsfreien Sternstunde des Marburger literarischen Lebens ist dem Schweizer Konsul in Frankfurt am Main Urs Schmieder, der anwesend war, zu danken. Auch die Belegschaft der Buchhandlung, die mit einem Glas Wein oder Wasser sowie Salzgebäck und Organisationsarbeit die Lesung gestaltet hat, verdient besondere Anerkennung.
Jürgen Neitzel
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