12.09.2010 (jnl)
Spannende Einblicke in die Verkehrsgeschichte bot die
Stadt Marburg am Sonntag (12. September) auf dem
Waggonhallen-Gelände sowie im Hauptbahnhof. Beim Tag des offenen Denkmals standen neben der Weidenhäuser Brücke diesmal die historischen und künftigen Entwicklungen rund um den Hauptbahnhof im Mittelpunkt.
Nachdem einige Verwirrung über die unvollständige und zum Teil irreführenden Angaben zu den Veranstaltungen in der
Oberhessischen Presse (OP) durch die Plakate vor Ort richtiggestellt waren, ging es los. Der runderneuerte historische Schlossbus stand bereit, um Interessenten vom Hauptbahnhof zum Waggonhallen-Gelände zu bringen. Dort langte man gerade noch rechtzeitig zum Vortrag des profilierten Lokalhistorikers und ehemaligen Bundesbahn-Zugführers Dieter Woischke an.
Sein Lichtbildvortrag in der Waggonhalle zeigte zahlreiche Dokumente aus der Vor- und Frühgeschichte des Eisenbahn-Knotenpunkts Marburg. Der kurhessische Fürst in Kassel hatte die Main-Weserbahn über Gießen nach Frankfurt am Main zunächst geradezu zu verhindern getrachtet. Denn Gießen war aus seiner Sicht damals feindliches Ausland.
Die geografische Lage des heutigen Hauptbahnhofs in Marburg war unter den Bürgern der Stadt sehr umstritten. Es gab einige Gerüchte über Korruption bei der Auswahl des - zwei Kilometer nördlich von der Oberstadt gelegenen - Areals.
Deswegen sprach man vom "Champagner-Bahnhof". Doch die Obrigkeit legte sich letztlich auf den jetzigen Standort fest.
In der Endphase des Zweiten Weltkriegs schlugen 200 bis 300 alliierte Bomben auf das Gelände um die Bahnhofsanlagen ein. Die Gebäude und Gleisanlagen des Bahnhofs wurden stark zerstört ebenso wie einige benachbarte Häuser.
Das Ausmaß der zerstörung der - in der Nachkriegszeit dann nach und nach wiederhergestelllten - Anlagen wurde nach Woischkes Aussagen aber von den Abwicklungen und Entlassungen der letzten 30 Jahre bei der Bahn glatt übertroffen. Bei einem Rundgang über das Waggonhallen-Gelände wurde manches sogar sinnlich zugänglicher als zuvor beim digitalen Diavortrag.
Der darauf folgende Lichtbild-Vortrag des Bauforschers Ulrich Klein fand im entleerten ehemaligen Erste-Klasse-Wartesaal des Hauptbahnhofs statt. Er schilderte die baukunstgeschichtlichen Entwicklungen des Eisenbahnverkehrs in Nord und Mittelhessen.
Einige Details des Woischke-Vortrags wurden dabei ganz anders beleuchtet. Klein zog etwa die Legenden vom "Champagner-Bahnhof" in Zweifel, da sie nicht schlüssig seien.
Der Abriss des alten Bahnhofsgebäudes von 1850 und der völlige Neubau um 1907 wurde in diesem Vortrag klarer, da er durch mehr Platzbedarf für weitere Gleise begründet war. Die Baugestalt war eine romantisierende, die der damaligen "Heimatschutz-Bewegung" nahestand. Die äußere Gestaltung der Empfangshalle mit den hohen Fenstern war die einer "Kathedrale der Technik".
Es folgte ein kurzer Vortrag des Baudirektors und Stadtplaners Jürgen Rausch über die in den nächsten drei Jahren anstehenden großen Umgestaltungen des Bahnhofsvorplatzes. Anschließend ergab sich ein Rundgang mit dem Projektleiter der
Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GeWoBau) Wolfgang Knabe durch die Baustellen in den - von der Stadt erworbenen - Obergeschossen des Bahnhofsgebäudes.
Alles in allem bekam man als interessierter Bürger an diesem Tag des offenen Denkmals einen sehr umfassenden und sinnlich erfahrbaren Einblick in die Entwicklungen rund um den Hauptbahnhof.
Jürgen Neitzel
Text 4457 groß anzeigenwww.marburgnews.de