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Rether redete im Plauderton


Fast vier Stunden Kabarett vom Feinsten

12.04.2008 (fjh)
"Das Unappetitliche an meinem Programm ist, dass nichts daran erfunden ist." Trotz dieser Einschätzung fesselte der Kabarettist Hagen Rether am Freitag (11. April) die vollbesetzte Marburger Stadthalle beinahe vier Stunden lang mit seinem Programm unter dem Titel "Liebe". Eingeladen hatten ihn die Kabarett-Fachleute vom Kulturladen KFZ.
Im Plauderton begann Rether gegen 20.15 Uhr seinen Vortrag. Er erzählte aus seinem Leben. Eigentlich habe er ja Ingenieur werden wollen, doch seine Eltern hätten gemeint "Du bist lustig. Du musst auf die Bühne!" Und so habe er ein Kabarettisten-Internat besuchen müssen.
Seit 1992 lebt der im rumänischen Bukarest geborene und in Freiburg aufgewachsene Rether im Ruhrgebiet. Seinen Wohnort Essen verglich der 38-jährige Kabarettist mit allerlei hässlichen Städten. Meist schnitt Essen bei diesen Gegenüberstellungen schlecht ab. Doch dann hatte Rether einen Auftritt in Hannover!
"Es sind niemals die Häuser, warum jemand irgendwo lebt", meinte er. "Es sind die Menschen!"
Deswegen wohne er auch gerne in Essen, bekannte er. Nur dort könne man am Valentinstag in der S-Bahn als Antwort auf die Frage eines Fahrgasts angesichts der zahlreichen Passagiere mit Blumensträußen die Aussage hören, bei diesem besonderen Tag handele es sich wohl
um den Totensonntag.
In einer Mischung aus Stammtisch-Parolen im Kohlenpott-Slang und daruntergeschmuggelten feinsinnig intellektuellen Sprachspielen und treffsicheren Pointen unterhielt Rether am Freitagabend sein Publikum. Zu Beginn griff er sich einen Baseball-Schläger: "Das ist das Erkennungszeichen der Neuen Länder!"
Einen gefundenen roten Regenschirm drehte er lange hin und her, während er seine Anmerkungen dazu improvisierte. Er spannte ihn auf und fand, dass der Sozialstaat heute nicht mehr alle vor Elend schütze. "Diese Sozialpolitik ist gut", beteuerte er treuherzig. "Aber für wen?"
Auf einem Schreibtischstuhl am Klavier sitzend, redete Rether ruhig, als ob er ein Selbstgespräch führe oder beiläufig plaudere. Dabei setzte er seine Gags ganz gezielt.
Längere Zeit kreisten seine Gedanken um Gott und die Welt in Gestalt von Religionen und Toleranz. Dabei nahm Rether insbesondere den deutschen Papst Benedikt XVI. aufs Korn.
Kürzlich habe der Vatikan eine Viagra-Fabrik erworben. Der Papst stehe dazu. Deswegen nannte Rether Josef Ratzinger auch "Benefit XVI.".
Nach wie vor sei Ratzinger Inquisitor, auch wenn der Vatikan die Inquisition heute "Heilige Glaubenskongregation" nenne. Das sei aber nur ein anderer Name. Der Geist dahinter sei nach wie vor der selbe wie früher.
"In regelmäßigen Abständen watscht dieser Papst andere Religionen ab", meinte der Kabarettist. Während seines Besuchs in Regensburg seien es die Muslime gewesen, danach die Evangelischen Christen und am Karfreitag 2008 die Juden. Die Katholiken hatte der Papst aufgefordert, für die Juden zu beten, damit sie Jesus Christus als ihren Messias anerkennen.
Er wolle sich nicht "bebeten" lassen, habe daraufhin der Düsseldorfer Rabbiner gesagt. Für Rether sind Ratzingers Äußerungen politischer Sprengstoff, weil derPapst damit Konflikte zwischen den Religionsgemeinschaften schüre.
"Ihr müsst sagen, wenn Ihr eine Pause braucht", sagte Rether plötzlich. Dann entließ er sein Publikum ins Foyer der Stadthalle. Das war kurz vor 22 Uhr!
Nach der Pause ging es in ähnlicher Weise weiter wie zuvor. Immer noch war die Stadthalle bis auf den letzten Platz gefüllt.
Schon vor der Pause hatte Rether am Klavier sein musikalisches Können bewiesen, indem er seinen Vortrag kurzzeitig mit hervorragend gespielter klassischer Musik untermalte oder einen Pop-Song dazwischenschob. Ein Glanzstück seiner musikalischen Darbietungen an diesem Abend war freilich eine Parodie auf den Beatles-Titel "Blackbird" auf sächsisch.
Mitunter sprach Rether auch ruhig zu daruntergespielter Hintergrundmusik: Nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Helmut Kohl habe sich die CDU als "das Organisierte Verbrechen" herausgestellt. Nach sieben Jahren Kanzlerschaft von Gerhard Schröder habe sich die SPD als "unorganisiertes Verbrechen" erwiesen, kommentierte der Kabarettist. "Nun regieren beide!"
Die Abkürzung "CDU" erklärte er angesichts von Ermittlungsverfahren gegen die CDU-Politiker Walter Leisler Kiep, Manfred Kanther und Prinz Kasimir von Sayn-Wittgenstein mit "Club der Untersuchungshäftlinge".
Die Türkei werde niemals in die Europäische Union (EU) aufgenommen, prognostizierte Rether. Dort herrschten schließlich undemokratische Zustände.
Beispielsweise gebe es einen Innenminister, der Bestechungsgelder von Waffen-Lobbyisten entgegengenommen habe und sich vor einem Untersuchungsausschuss an nichts mehr habe erinnern können. Trotzdem sei dieser Mann erneut zum Innenminister ernannt worden. Dieser Politiker müsse wohl "Schüblü" oder so ähnlich heissen.
"Aber Hallo!" Dieser Ausruf war an diesem Abend häufig zu hören. "Das hat die CIA herausgefunden" ebenso. Mitunter wiederholte Rether vorherige Aussagen, um sie dann vielleicht auch einmal für eine unerwartete Pointe zu nutzen.
Am Ende verglich er Deutschland mit einer Volvo-Werbung. Die Menschen führen mit Kraftstoff herum, der auf Kosten der Produktion von Nahrungsmitteln gewonnen wurde. Allerdings sei das die Nahrung anderer. Aber es sei vorher ja auch schon deren Öl gewesen!
"Früher habe ich immer um zehn Uhr Schluss machen müssen, weil die Menschen am nächsten Tag wieder arbeiten mussten", berichtete Rether kurz vor Schluss. Gerne wolle er dem Publikum aber etwas bieten für sein Geld. Er könne auch die ganze Nacht durchmachen. Hinterher habe er ja nichts mehr vor.
Warum er das mache? "Weil ich es kann!"
Auf diese Aussage erhielt der Kabarettist einen donnernden Applaus. Den roten Regenschirm gab er zunächst seiner Eigentümerin zurück, bevor er ihn dann gegen eine seiner CDs tauschte.
Als er schließlich die Bühne verließ, war es kurz nach Mitternacht. Immer noch waren die Ränge in der Stadthalle bis auf den letzten Platz gefüllt. Mit minutenlangem Applaus dankte das Publikum dem hochmusikalischen und zugleich spitzzüngigen Kabarettisten für einen – in jeder Hinsicht - bombastischen Abend.
Franz-Josef Hanke
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