15.07.2010 (fjh)
Einer der weltweit führenden Shakespeare-Forscher hat die Ehrendoktor-Würde des Fachbereichs Fremdsprachliche Philologien der
Philipps-Universität erhalten. Prof. Dr. Stanley Wells nahm sie am Dienstag (13. Juli) im Marburger Landgrafenschloss aus den Händen der Dekanin Prof. Dr. Sonja Fielitz entgegen.
"Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal in die Fußstapfen des Dalai Lama treten würde“, scherzte der Literaturwissenschaftler in Anspielung auf die im gleichen Saal erfolgte Ehrenpromotion des tibetischen Religionsführers.
"Stanley Wells ist einer der renommiertesten Gelehrten auf dem Gebiet der Shakespeare-Philologie", sagte Fielitz. In dieses Urteil der Anglistin stimmten auch alle übrigen Gratulanten ein, die dem mittlerweile 80-jährigen Wissenschaftler ihre Glückwünsche zur Ehrenpromotion übermittelten,.
Unter ihnen war auch Prof. Dr. Klaus Stierstorfer. Er ist der Vorsitzende des Deutschen Anglistenverbandes.
Wells war bis zum Jahr 1997 Leiter des Shakespeare-Instituts in Stratford-upon-Avon. In allen Bereichen der Philologie hat er sich profiliert.
Insbesondere hat er sich als Herausgeber und als Verfasser von Theater-orientierten Studien hervorgetan. Sein editorisches Werk erfüllt nicht nur höchste akademische Ansprüche, sondern umfasst auch populäre Ausgaben von William Shakespeares Schriften.
Der Gelehrte hat mehr als 45 Bücher und eine Vielzahl von Artikeln über die Literatur der frühen Neuzeit verfasst. "Ihm ist daran gelegen, Kulturgüter einer möglichst großen Anzahl von Menschen zugänglich zu machen", rühmte der Theaterwissenschaftler und Schauspieler Dr. Paul Prescott von der Universität Coventry den Promovenden in einem persönlich gehaltenen Redebeitrag: "Sein Shakespeare ist ein Shakespeare für alle!“
Fielitz hob in ihrer Laudatio die Neuerungen hervor, mit denen Wells die Shakespeare-Forschung bereichert hat. Sie bezeichnete ihn als "revolutionären Herausgeber“.
"Wells folgte stets seiner Grundüberzeugung, dass Shakespeare seine Stücke nicht als Dichter oder Philosoph geschrieben habe, sondern, damit sie aufgeführt werden“, führte Fielitz aus. Die Texte des Theatermannes seien daher wieder und wieder durch seine Schauspiel-Kollegen verändert und auch in späteren Epochen durch Interpretationen auf der Bühne revidiert worden.
Die Folgen dieser Erkenntnis für Wells Editionspolitik nannte Fielitz "spektakulär". Diese Aussage belegte sie mit der Ausgabe des Dramas "König Lear", das Shakespeare in zwei Fassungen herausbrachte.
Der Festvortrag des frisch gebackenen Ehrendoktors bestätigte aufs Lebendigste, wie Shakespeare vom Theater her zu begreifen sei. Darin ging es um die unfreiwillige Komik Shakespearscher Tragödien, wenn in schneller Folge ein Tod auf den anderen folgt. Das geschieht etwa in "Hamlet".
Wells verwies auf zahlreiche Inszenierungen. Er führte eine Fülle von Belegstellen an, wobei ihm Dr. Paul Edmondson vom Shakespeare Centre in Stratford-upon-Avon assistierte. Die beiden spielten die Argumentation mit verteilten Rollen eher, als dass sie sie vortrugen. So evozierte die Präsentation den Eindruck, Shakespeares "Hamlet" habe auf subtile Weise die späteren Parodien des Stoffs bereits vorweggenommen.
Das intellektuell angeregte und bestens unterhaltene Publikum hatte anschließend bei einem Imbiss Gelegenheit, Wells' Thesen im Gespräch zu vertiefen. Die musikalische Umrahmung des Abends besorgte der Linguist Prof. Dr. Jürgen Handke, der barocke und moderne Kompositionen auf der Querflöte interpretierte.
pm: Philipps-Universität Marburg
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