23.04.2010 (tck)
"Es kann nicht sein, dass die Politik sich nur nach der Wirtschaft orientiert und nicht nach den Interessen der Arbeitnehmer", sagte Ernst Richter am Freitag (23. April) bei der Vorstellung des Veranstaltungsprogramms zum 1. Mai 2010 im DGB-Büro Marburg. Mit seiner Aussage machte der Vorsitzende der DGB-Region Mittelhessen die aktuellen Forderungen des
Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zum internationalen "Tag der Arbeit" klar.
Mit deutlichen Formulierungen kritisierte er die Politiker, die nur die Interessen der Wirtschaft im Sinne hätten. Der Marburger DGB-Sekretär Dr. Ulf Immelt ergänzte: "Wir legen Wert auf höhere Löhne, gute Arbeitsbedingungen und eine stärkere Beteiligung der Gesellschaft."
Scharf kritisierte Immelt die Supermarktkette Schlecker: "Es ist eine Sauerei, dass Schlecker die Löhne der Beschäftigten senkt und dann sagt: "Wenn euch das nicht passt, dann könnt ihr gehen!"
Dieses Beispiel mache jedoch Schule. Zunehmendes Mobbing und eine geringe Wertschätzung ihrer Arbeit verursache bei vielen Beschäftigten psychische Erkrankungen.
"Grund dafür sind die schlechten Arbeitsbedingungen", erläuterte Richter. "Die Menschen müssen um ihre Jobs fürchten. Tag für Tag müssen sie Angst haben, am nächsten Morgen arbeitslos und nicht mehr in der Lage zu sein, ihre Familien zu ernähren. Wir halten das für eine Sauerei."
Aber auch der ehrenamtliche Bereich gerate durch den ständig steigenden Arbeitsdruck immer stärker unter Druck, erklärte der Marburger DGB-Vorsitzende Pit Metz. immer öfter fänden Vereine keine freiwilligen Mitstreiter mehr, weil der Stress am Arbeitsplatz und die verbreitete Anforderung einer ständigen Verfügbarkeit am Arbeitsplatz weit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus kein Engagement mehr zulasse.
Sehr kritisch bewertet der DGB die Finanzpolitik der derzeitigen Bundesregierung. Einnahme-Ausfälle durch Steuergeschenke an Reiche führten zu einer kaum noch erträglichen Belastung der öffentlichen Haushalte.
Deswegen forderte Richter eine Entschuldung der Kommunen. Er verglich diese Maßnahme mit der Ausgliederung von Schulden der Banken in eine sogenannte "Badbank".
Würden Städte und Gemeinden nicht auf ähnliche weise entschuldet, könnten sie ihre wichtigen Aufgaben der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung kaum noch wahrnehmen. Manche Kommune müsse bereits die laufenden Personalkosten über eine Aufnahme von Kontokrediten abdecken.
Zudem geisselte Richter die Ausgliederung staatlicher Sozialleistungen auf die Privatwirtschaft oder Vereine. Als Beispiel nannte er die Tafeln, deren Arbeit inzwischen zwar unverzichtbar sei, die aber das Recht auf eine Soziale Sicherung mehr und mehr zugunsten der gnädigen Gewährung von Almosen abbauten.
"Nur Reiche können sich einen schwachen Staat leisten", stellte der Gewerkschafter fest. Doch werde die Bevölkerung einen weiteren Abbau des Sozialstaats nicht mehr tatenlos hinnehmen.
Auch in der Bildung spare das Land auf Kosten der Chancengleichheit und der Qualität wissenschaftlicher Ausbildung. Das gerade erst am Vortag beschlossene Stipendien-Programm setze beispielsweise eine hälftige Kostenübernahme durch private Sponsoren voraus, worduch wohl eher die wirtschaftlichen Verwertungsinteressen über die Finanzierung eines Studiums entscheiden würden als die Leistung der Studierenden.
"Wir gehen vor" lautet das Motto der diesjährigen Maifeier. Sie startet am Samstag (1. Mai) um 11 Uhr mit einem Demonstrationszug vom DGB-Büro an der Bahnhofstraße über den Steinweg zum Marktplatz. Zwischenkundgebungen werden dort sowie vor der Schlecker-Filiale an der Elisabethstraße stattfinden.
Vom Marktplatz aus ziehen die Gewerkschafter dann über den Rudolphsplatz zum Elisabeth-Blochmann-Platz. Auf der Abschlusskundgebung dort spielt die Band "SubTerra" lateinamerikanische Musik. Außerdem soll die SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti sprechen.
"Wir sind froh, dass wir mit Andrea Ypsilanti eine Prominente Repräsentantin auf unserer Seite haben", freute sich Metz. Er und Immelt hoffen auf eine mindestens ebenso starke Beteiligung wie im Vorjahr, wo etwa 1.000 Menschen an der Abschlussfeier teilgenommen haben.
Bereits am Vorabend organisieren die DGB-Senioren die traditionelle Vormaifeier im Theater am Schwanhof (TaSch). Dort wird ab 14.30 Uhr der pensionierte Gewerkschaftsfunktionär Horst Schmitthenner reden.
"Das Programm richtet sich aber nicht nur an Senioren, sondern an alle Altersgruppen", betonte Käte Dinnebier. Die Vorsitzende der DGB-Senioren Marburg-Biedenkopf verwies auf die Bedeutung der derzeitigen Sparpolitik gerade für jüngere Menschen.
"Das kann so nicht mehr weitergehen", bekräftigte Richter wiederholt seine Forderung nach einem "Paradigma-Wechsel". Um ihn zu erreichen, sei allerdings das solidarische Engagement vieler Menschen notwendig. Beim 1. Mai will der DGB dafür eintreten und auch gemeinsam mit den Beschäftigten in Betrieben, mit Erwerbslosen, Studierenden, Senioren und ihren Familien feiern.
Taime Kuttig
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