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Mörderisches Mitgefühl


"Arsen und Spitzenhäubchen" feierte Premiere im TaSch 2

11.04.2010 (fjh)
Die Todesgefahr ahnen sie nicht. Der Holunderbeerwein ist süffig und süß. Ein Gläschen davon kann wohl nicht schaden.
Doch mit einem Schluck aus dem Glas besiegeln zwölf Männer ihr eigenes Todesurteil. Denn die beiden netten alten Damen, die ihnen diesen Wein kredenzen, haben ihn mit Arsen "versüßt". So "helfen" sie einsamen älteren Herren, aus ihrem tristen Dasein zu entkommen.
Die Geschichte der beiden wohlmeinend mörderischen alten Tanten hat David Gerlach für das Hessische Landestheater (HLTh) unterhaltsam umgesetzt. Seine Inszenierung der Kriminalkomödie "Arsen und Spitzenhäubchen" von Joseph Kesselring feierte am Samstag (10. April) im Theater am Schwanhof (TaSch II) Premiere.
Vor Beginn der Vorstellung bot eine Mitarbeiterin des Theaters den Premierengästen ein Glas Holunderbeerwein an. Mit "zwölf Prozent" gab sie den Gehalt bewusstseinsbenebelnder Substanzen in diesem Trank an. Allerdings meinte sie damit wohl nicht Arsen oder ähnliche Nervengifte, sondern den allfälligen Alkohol.
Nach diesem netten Gag begann die Aufführung mit einem kurzen Stück Musik. Louis Armstrong alias "Old Satchmo" sang von der Konserve "What a wonderful World".
Dann stieß die Inszenierung das Publikum mitten hinein in die scheinbar heile Welt der Familie Brewster. Die Schwestern Abby und Martha Sind gerade damit beschäftigt, ihren Neffen Mortimer unter die Haube zu bringen.
Der junge Theaterkritiker heiratet Elaine Harper. Sie ist die Tochter von Pastor Harper, der direkt nebenan wohnt.
Regelmäßig stört Mortimers Bruder Teddy die Szenerie. Mit einer Fanfare kündigt der geistig verwirrte Mann seine nächste Aktion an, die er als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) vornehmen möchte. Teddy ist davon überzeugt, dass er US-Präsident Theodore Roosevelt sei.
Teddys Trompeterei nervt nicht nur die Nachbarn. Doch seine lieben alten Tanten sorgen sich rührend darum, dass ihr Neffe nicht in ein Irrenhaus gesteckt wird.
Mortimer hingegen hat die Unterlagen dafür bereits mit dem Direktor des Sanatoriums "Seelenfrieden" vorbereitet. Ihm fehlen nur noch die Unterschrift eines Arztes und die seines Bruders Teddy.
Mitten hinein in diese mörderisch friedliche "Idylle" platzt Mortimers verschollener Bruder Jonathan. Begleitet wird er von dem Gesichts-Chirurgen Dr. Einstein.
Er hat Jonathan ein neues Gesicht verpasst. Denn Jonathan ist wegen zwölffachen Mordes auf der Flucht.
Seit der Operation sieht Jonathan aus "wie Dr. Frankenstein". Wie ein blutrünstiges Monster benimmt er sich auch.
Mit viel Witz, Slapstick und Tempo hat Gerlach diesen Klassiker der schwarzen Kriminal-Literatur auf die Bühne gebracht. Einige nette Gags reichern die – durch eine Verfilmung aus dem Jahr 1944 weltweit bekannte- Komödie unterhaltsam an.
So werden die beiden "hilfsbereiten" alten Damen von Männern gespielt. Ihre Rollen haben Michael Köckritz als Abby Brewster und Thomas Streibig als ihre Schwester Martha Gekonnt umgesetzt, ohne dass es irgendwann auch nur im Geringsten tuntig oder platt gewirkt hätte.
Als Officer O'Hara berlinert sich Franziska Knetsch schnoddrig schwatzhaft Durch die Handlung. Eigentlich ist sie ja nicht wirklich Polizistin, sondern Krimi-Autorin. Dem berühmten Theaterkritiker Mortimer Brewster will sie ihr Bühnenstück unbedingt vortragen.
O'Haras Kollege Brophy wiederum sächselt. Im Brustton der Überzeugung beteuert der von Daniel Sempf als etwas trottelig dargestellte Polizist, dass die beiden alten Damen die nettesten Menschen weit und breit seien.
Voller Komik ist auch eine Szene, in der O'Hara zu lasziver Musik beginnt, ihre Uniform auszuziehen. Allerdings bleibt ihr Striptease in einer Andeutung stecken.
Vor der Pause kündigen die beiden alten Tanten einen Schmorbraten an, den sie nun zubereiten wollen. In der Pause konnten die Premierengäste dann auch einen köstlichen Schmorbraten im Brötchen kaufen.
Auch sonst bewegte sich an diesem Abend Einiges mitten im vollbesetzten Theatersaal. Darsteller liefen quer durch die Reihen der Tische und Stühle des Publikums oder saßen – wie Markus Klauk in der Rolle des Psychiatrie-Chefs Mr. Witherspoon - mitten darunter.
Nicht nur wegen seines ausgesprochen abscheulichen Aussehens überzeugte vor allem Stefan Gille als Jonathan Brewster. Seinen Bruder Teddy Brewster setzte Jürgen Helmut Keuchel ebenso gekonnt um. Auch Anne Margarete Greis überzeugte als etwas verunsicherte Elaine Harper.
Nicht ganz so stark wirkten Torsten Stoll als Mortimer Brewster und Stefan Piskorz als Dr. Einstein. Aber auch ihre schauspielerischen Leistungen waren durchaus noch gut.
Mit seiner Inszenierung ist Gerlach ein kurzweiliger Abend voller spritziger Unterhaltung gelungen. Doch mangelt es Kesselrings Komödie auch nicht an Hintersinn.
Mortimer Brewster legt er despektierliche Äußerungen in den Mund über die Bühnenstücke, die er als Theaterkritiker mitunter rezensieren muss. Mit Teddys Trompeterei karikiert Kesselring das autoritätsheischende Gehabe von Politikern. Die beiden alten Tanten schließlich stehen für die Morbidität und die untergründige Gewalt des ganz gewöhnlichen Kleinbürgertums.
Nach etwa zweieinviertel Stunden verließen also nicht nur gut unterhaltene, sondern auch auf hohem Niveau amüsierte Zuschauer das TaSch. Nicht nur der Holunderwein und der Schmorbraten waren an diesem Abend ein echter Genuss, sondern auch die kurzweilige Komödie voller schwarzen Humors.
Franz-Josef Hanke
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