06.04.2010 (mal)
Sie glauben an eine allmächtige Institution, die alles Leben ordnet und reguliert. Und an Rechtsstaatlichkeit, das heilige Prinzip dieser Ordnung.
Empfangen durch die Aufklärung, geboren vom Bürgertum, hat die Rechtsstaatlichkeit schon so manche Krisen erlitten. Gebrochen, abgesetzt und für gescheitert erklärt, ist sie schon so manches Mal ad acta gelegt worden.
Dennoch auferstanden von den Toten und aufgestiegen auf eine höhere Bewusstseinsebene, sitzt sie zur Rechten der Menschheit. Von dort wird sie kommen, um zu richten die Taten und Gedanken.
Und sie glauben an die heilige Demokratie. Sie ist der Wille des Volkes, stellt repräsentatives Entscheidungsgut dar und stiftet für alle Ewigkeit Frieden und Wohlfahrt.
Die Rede ist von theologischen Politikern. Oder von politischen Theologen?
Ein Widerspruch, wird so mancher denken. Beides zusammen erscheint völlig unmöglich. Und doch passt beides bestens zusammen.
Niemand wird als Politiker geboren. Selbst die führenden Köpfe dieser heiligen Nation mussten erst eine langwierige Passion erleiden, ehe sie dort hingelangen konnten, wo sie heute stehen.
Vor dem Start seiner politischen Karriere hat schon so mancher Amtsinhaber Politik-fremde Jobs durchlaufen. Wen wundert es daher, dass im Deutschen Bundestag neben Juristen und Pädagogen auch Theologen zu finden sind?
Dieser Umstand macht auch durchaus Sinn. Theologen wie auch Politiker sind absolute Spezialisten auf diesem Gebiet. Sie schützen und mehren ihr ideologisches Glaubensgut.
In ihrer Ideologie verhaftet, ziehen sie - einer inneren Berufung folgend - hinaus in die Welt, um all die Unwissenden zu erziehen und zu bekehren. Die grundlegenden Inhalte ihrer Heiligen Schrift haben beide Personengruppen natürlich vollständig auswendig gelernt.
Ob sich diese Schrift nun Bibel oder Parteibuch nennt, spielt keine Rolle. Beides sind literarische und rethorische Meisterleistungen.
Es ist natürlich noch keine Schrift vom Himmel gefallen. Die Inhalte sind in einem langjährigen Kanonisierungsprozess festgehalten und durch herausragende Mitglieder immer wieder modifiziert worden. Und natürlich steht dort nichts anderes als die reine Wahrheit.
Wer sich also mit solchen Spezialisten unterhält, bekommt jeden verschriftlichten Satz buchstabengetreu um die Ohren geschlagen. Wer gegen die moralisch verifizierten Gebote verstößt, wird umgehend über seine Irrtümer aufgeklärt. Diese Tatsachen machen einen doch in gewisser Weise stolz, oder etwa nicht?
Nein, das machen sie leider nicht. Jetzt gibt es mal Butter bei die Fische!
Das Macht so manchen Politiker korrumpiert hat, ist schon tragisch genug. Doch dass sich Theologen wie Parasiten in den lebendigen Strukturen der politischen Gesellschaft festgesetzt haben, ist ein unverzeihlicher Fehler.
Seit dem Zeitalter der Aufklärung hatte die Religion ihren gesellschaftspolitischen Einfluss nachhaltig verloren. Säkularisierung sowie der Glaube an die Vernunft und Rationalität hatten die traditionellen religiösen Wertvorstellungen weitgehend abgelöst.
Menschen aller gesellschaftlichen Schichten strebten nun nach Individualisierung sowie Emanzipation. Absolutistische Staatsformen ersetzten sie durch demokratische Volksherrschaften.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schien der Säkularisierungsprozess endgültig abgeschlossen zu sein, denn die Politik handelte nun ohne religiöse Einflüsse. Die Religion schien in den privaten Bereich abgedrängt worden zu sein und beeinflusste die Gesellschaft nur noch indirekt.
Die religiösen Institutionen betrachteten diesen Umstand für sich als Krise der Moderne und bemühten sich darum, wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Und tatsächlich schafften sie es, die einzelnen Gesellschaftsschichten zu unterwandern. Sie beeinflussen die Gesellschaft noch heute.
Viele Theologen verabsolutieren die religiösen Wertevorstellungen, stellen Dominanz-Strategien zur Unterwerfung des privaten und öffentlichen Lebens auf und schrecken auch nicht vor der Politisierung der Religion zurück. Die Trennung von Kirche und Staat als notwendige Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaftsform ist rückläufig.
Die Aufklärung hat versagt. In der heutigen Demokratie spielen der Wille der Wähler, das Allgemeinwohl sowie bürgerliche Werte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität nur noch eine untergeordnete Rolle. Religiös fundierte Glaubenssätze sind die Richtschnur des öffentlichen Handelns.
Theologen wie auch Politiker versprechen das Blaue vom Himmel und lügen sich in die eigene Tasche. Anderen Auffassungen wird polemisch, destruktiv und wertend begegnet.
Theologische Politiker glauben, die absolute Wahrheit gepachtet zu haben. Sie beweihräuchern sich selbst und glauben, das Rad neu erfunden zu haben.
Wirklich selbstkritisch oder selbsttranzendent sind sie nicht. Vielmehr glänzen sie durch Unwissenheit und Irrtümer im Bezug auf gesellschaftliche Bereiche. Der "11. September" galt für die politisch-religiösen Gruppierungen nur vordergründig als Attentat gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie sahen in diesem Terrorakt einen Angriff auf das Christentum samt seinem gottgewollten Wertesystem.
Der Kreuzzug-ähnliche Krieg gegen den Terrorismus wurde zur Christenpflicht und zu einem rechtschaffenen Akt gegen die Mächte des Bösen. Seither sind alle Terrorakte nur noch das Werk von unchristlichen und verblendeten Unmenschen.
Der politische Markt ist recht vielfältig. Daher steht den Theologen je nach Gesinnung eine Vielzahl an politischen Strömungen zur Verfügung, die sie nach Lust und Laune unterwandern und mitgestalten können.
So finden sich in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) größtenteils Theologen wieder, die ein großes Interesse an Diakonie haben. Soziale Gerechtigkeit, Engagement und die Hilfe für Notleidende ist etwas, das den christlichen SPD-Politikern natürlich sehr am Herzen liegt.
Das linke Lager ist aus ganz anderem Holz geschnitzt. Missionstheologen finden eher dort Zuflucht, weil sie sich nur dort offensiv ihrer Umwelt aufdrängen können. Durch fortschrittlich verstandene Politik sind sie darum bemüht, Reformen durchzusetzen, die neue soziale, ökonomische und politische Verhältnisse zum Vorteil der eher unterprivilegierten Bevölkerungsschichten zur Folge haben. Gleichzeitig bauen sie religiöse Fundamente ein und haben die berechtigte Hoffnung, dass es niemand merkt.
Radikal-fundamentalistische Theologen haben sich hingegen im rechten Lager breitgemacht. Sie bekämpfen die Doppelmoral der etablierten Parteien. An sich nichts Schlimmes. Doch sie wollen prä-moderne Strukturen umsetzen und wieder einen Gottesstaat errichten. Wer ihrer Meinung nach ein zu sündiges Leben führt oder sonst irgendwie nicht zu ihnen passt, wird willkürlich im Namen ihrer Werte exekutiert.
Wer niemals einen Hehl aus dem christlichen Verständnis der eigenen Arbeit gemacht hat, ist die Christlich Demokratische Union (CDU) Deutschlands. Dass sich die eher konservative CDU ausdrücklich als christlich bezeichnet, beruht auf dem Entschluss der Partei, sich dem christlichen Menschenbild ausdrücklich zu verpflichten. Dass sich hierdurch des Öfteren Gemeinsamkeiten mit den Dogmen der etablierten christlichen Kirchen ergeben, dürfte Niemanden mehr überraschen.
Nirgendwo dazu passen stets die agnostischen Theologen der Freien Demokratischen Partei (FDP). Sie hängen ihre Fahnen stets nach der Windrichtung und sind sich ihrer Werte selbst nicht immer bewusst. Manchmal tendieren sie dazu, der einen Seite Recht zu geben. Manchmal stimmen sie der anderen zu und viel seltener beziehen sie selbst Stellung. Ein Rückrat fehlt ihnen gänzlich. Allerdings huldiegen sie dem unantastbaren Neoliberalismus.
Ethnische Gruppen bleiben letztlich in ihren Minimalparteien stecken und erreichen niemals die Bundesregierung. Sie pflegen lediglich ihre lokalen Traditionen und bekommen nicht viel vom Weltgeschehen mit.
Das Christentum hat die deutsche Politik gänzlich monopolisiert und für sich in Anspruch genommen. Oder hat jemand schon eine Buddhistisch Demokratische Partei auf den Stimmzetteln gesehen? Eine rein atheistische politische Partei gibt es leider auch nicht.
Natürlich hat niemand etwas gegen Theologen. Leider auch kein Gegenmittel!
Da hilft nur eines: Hinsehen, Hinhören und Handeln!
Unsere Gesellschaft lebt in einem inneren Konflikt. Wer ihn gewinnen wird, ist längst noch nicht entschieden.
Die Religion ist in der aufgeklärten und emanzipierten Gesellschaft ein fremdgewordenes Relikt vergangener Zeiten. Solche altmodischen Wertevorstellungen sind heute einfach nicht mehr nachvollziehbar.
Selbst wenn es Menschen gibt, die solchen Moralvorstellungen angehören wollen, so sollten sie das nur in ihrem privaten Bereich tun. Jeder aufrechte Bürger sollte mit dem Schwert der Wahrheit und dem Schild der aufklärerischen Tugenden den theologischen Monstern tapfer entgegentreten.
Die Ketten von theologischer Indoktrination müssen endgültig gesprengt werden. Wenn die letzten politischen Theologen an ihrer eigenen Doppelmoral ans Licht gezerrt wurden und die Politik gänzlich ohne religiöse Beeinflussung funktioniert, dann erst wird in der modernen Gesellschaft endlich Ruhe und Frieden einkehren. Amen! Schalom! As-salamu"alaikum! Was auch immer!
Martin Ludwig
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